Abschied vom Helden-Ulle

Spätestens mit dieser Tour de France muss auch die deutsche Öffentlichkeit akzeptieren, was Jan Ullrich schon lange akzeptiert hat: dass er den Amerikaner Lance Armstrong nicht schlagen kann

VON SEBASTIAN MOLL

Gegen Ende der Tour de France des Jahres 2001, dem zweiten Duell zwischen Lance Armstrong und Jan Ullrich, war Ullrich trotz seiner Niederlage provozierend vergnügt. Er hatte sich gut vorbereitet, war stark gefahren, hatte Kampfgeist gezeigt und die Tour phasenweise ausgesprochen unterhaltsam gestaltet. Das alles hatte ihm zudem viel Spass gemacht – und dass nun nicht wenige deutsche Journalisten trotzdem nicht aufhören konnten, herumzuanalysieren, wo er die Tour verloren habe – in den Bergen, beim Zeitfahren oder schon beim Weihnachtsessen –, das nervte Ullrich sichtlich.

Denn im Grunde seines Herzens wusste es Ullrich schon immer: Lance Armstrong ist einfach der stärkere Fahrer, da ist nicht viel zu machen. Das ist allein schon daran abzulesen, dass der Unterschied zwischen den beiden sich über die Jahre kaum verändert hat: 2000 war Lance Armstrong sechs Minuten und zwei Sekunden stärker, 2001 sechs Minuten und 44 Sekunden. Vor der gestrigen Etappe lag der Deutsche fünf Minuten und 58 Sekunden hinter Armstrong. 2004 verlor der Ex-Merdinger wegen einer Krankheit zwar beinahe neun Minuten, in diesem Jahr aber hat der Deutsche wieder die gewohnten Verhältnisse hergestellt. Nur gibt es eben mittlerweile mindestens einen Fahrer, der ebenfalls in den Leistungregionen von Ullrich und Armstrong radelt: Ivan Basso.

Aus dem Schema aus bricht lediglich das Jahr 2003. Armstrong patzte in der Vorbereitung, war krank, verletzte sich und hatte an seiner scheiternden Ehe zu knabbern. Für den Anstieg nach L’Alpe d’Huez brauchte er damals vier Minuten länger als bei seinem Sieg 2001 – untrüglicher Beweis dafür, dass der Amerikaner nicht er selbst war. Dennoch wurde der knappe Sieg Armstrongs über Ullrich als Zeichen dafür gewertet, dass es endlich klappen kann mit dem zweiten Toursieg des Deutschen, ja klappen muss. Der Rest ist bekannt.

Spätestens nach dem vierten Platz 2004 und dem Verlauf in diesem Jahr fängt die deutsche Öffentlichkeit endlich an, sich damit abzufinden, dass es so schnell keinen weiteren deutschen Toursieg geben wird. Jedenfalls keinen durch Jan Ullrich. „Ullrich hat seine besten Jahre damit verbracht, gegen einen Besseren zu kämpfen“, schreibt etwa Spiegel Online. Jetzt sei er verbraucht, seine Uhr abgelaufen: „Die Rivalen haben sich in Stellung gebracht: Einer heißt Basso. Der andere die Zeit.“

Dabei hat sich Ullrich stets nur widerwillig in die Rolle des Herausforderers drängen lassen. Als Sportler wusste er, dass es ein Kampf ist, den er nur verlieren kann. Im vergangenen Jahr feierte er vergnügt auf den Champs Elysees mit Champagner das Ende der Tour; er hatte sich wieder einmal tapfer geschlagen, hatte unermüdlich gegengehalten, eine gute Show geboten. Damit war er zufrieden. Jene, die ihn ewig zum Sieger machen wollten, standen fassunglos daneben und wunderten sich, wie man nach einem vierten Platz so ausgelassen sein kann.

Dazu zählte auch die Teamleitung von T-Mobile. Insbesondere Teamgründer Walter Godferoot konnte sich nie damit abfinden, dass Ullrich Armstrong unterlegen ist. Die ganze Vermarktung der Mannschaft und ihres Stars sowie deren Struktur und Ausrichtung beruhte darauf, dass Ullrich noch einmal gewinnt. Im nächsten Jahr, bestimmt. Und im nächsten und im nächsten und im nächsten. Und die Fans hatten sich schon längst in diesen Jan verliebt, der ihnen da vorgesetzt wurde: Das größte Talent aller Zeiten, der locker den Ami abledern kann – wenn er sich nur einmal richtig vorbereitet.

Jetzt muss Deutschland kollektiv Abschied nehmen von diesem Jan Ullrich. Die letzte Chance, Armstrong zu schlagen, ist vertan. Und schon stehen andere, jüngere, auf Schulterhöhe mit Ullrich Schlange, um den Ami zu beerben. Deutschland ist enttäuscht von seinem Ulle – und ein klein wenig beleidigt, so wie ein Teenager, der von seiner Liebe einen Korb bekommen hat.

Für Ullrich indes dürfte Armstrongs Rückzug eine große Erleichterung sein. Keiner kann mehr das Unmögliche von ihm fordern. Er darf der sein, der er ist: ein Weltklasse-Radfahrer, der nach elf Profijahren noch immer ein außergewöhnlich hohes Niveau hält. Und dem in den letzten Jahren seiner großartigen Karriere auch noch der eine oder andere große Sieg zuzutrauen ist. Schon öfter hat er etwa davon gesprochen sich einmal am Giro d’Italia versuchen zu wollen, wenn er den gewänne, hätte er als einer der wenigen Radsportler der Geschichte alle großen Landesrundfahrten, also Tour, Giro und Vuelta, gewonnen.

Der Wunsch der Deutschen nach einem Helden muss sich nun allerdings an einem anderen abarbeiten. Vielleicht am besten nicht an einem Radfahrer. Andreas Klöden hat jedenfalls, wie sein „großer Bruder Ulle“, die Neigung, bei der komplizierten Vorbereitung auf die Tour zu patzen. Und das hat man nicht gern. Ein deutscher Held tut das nicht.