„Nicht nur falsch, sondern potenziell gefährlich“

Für den Bioethiker Jonathan Kahn gibt es keinen wissenschaftlich Nachweis dafür, dass die Kategorie „Rasse“ genetisch bedingt ist

taz: Sind Sie erstaunt darüber, dass es in dem FDA-Beratergremium keine Stimme gab, die sich gegen die Zulassung von BiDil ausgesprochen hat?

Jonathan Kahn: Für mich besteht das Problem nicht darin, dass sie dafür gestimmt haben, die Anwendung von BiDil gegen Herzversagen zuzulassen. Die Anzeichen sprechen dafür, dass es einigen Menschen helfen kann. Für mich besteht das Problem darin, dass sieben von neun Mitgliedern des Gremiums dafür stimmten, BiDil mit einer rassenspezifischen Kennzeichnung zuzulassen. Hierfür gibt es aber keinerlei wissenschaftliche Grundlage.

Wie erklären Sie sich das?

Ich denke, sie taten das, weil sie grundsätzlich glauben, dass Rasse wirklich genetisch begründbar sei, eben weil sie ausschließlich über Rasse als Stellvertreter für eine genetische Kategorie gesprochen haben. Von daher kommt auch der Unwille, jegliche Beweise für eine differenzierte Wirkungsweise des Medikaments oder eine nur bessere Wirkung bei Afroamerikanern in Betracht zu ziehen.

Was waren Ihrer Meinung die Gründe dafür, dass Cohn den Medikamententest nur an Afroamerikanern durchführte?

Ich sehe nur einen Grund: NitroMed hielt zwei Schlüsselpatente auf BiDil. Das erste Patent deckt den Gebrauch von BiDil für die Allgemeinheit ab, unabhängig von rassenspezifischen Betrachtungen. Es läuft im Jahr 2007 ab. Das zweite ist ein rassenspezifisches Patent, das den Gebrauch von BiDil ausschließlich für Afroamerikaner vorsieht. Es verliert seine Gültigkeit erst 2020. Indem NitroMed beim Versuchsdesign Nichtafroamerikaner ausschloss, verbesserte die Firma ihre Chancen, bei der FDA eine rassenspezifische Bewilligung von BiDil zu erwirken.

Wie ist das zu verstehen?

Die am Versuch beteiligten Forscher geben ja selbst zu, dass BiDil auch bei Nichtafroamerikanern effiziente Wirkungen hat. Wenn also NitroMed solche Ergebnisse vor der FDA präsentiert hätte, hätte es vermutlich nicht die rassenspezifische Zulassung bekommen, mit der Folge, dass 13 zusätzliche Jahre an Patentschutz verloren gegangen wären.

Was halten Sie von der Klassifizierung einer „Rasse“ wie Afroamerikaner?

Ich habe keine Schwierigkeiten damit, wenn Afroamerikaner als „Rasse“ klassifiziert werden. Das Problem taucht aber dann auf, wenn man zu definieren versucht, was „Rasse“ eigentlich bedeutet. Wenn unter Rasse ein soziopolitisches Konstrukt mit tief liegenden historischen Wurzeln verstanden wird, dann kann der Begriff „Afroamerikaner“ ein nützlicher analytischer Terminus sein. Aber im Kontext mit biomedizinischer Forschung gestaltet sich die Sache weitaus komplizierter. Wenn „Rasse“ in grober Weise als eine genetische Kategorie verwendet wird, ist das nicht nur falsch, sondern auch potenziell gefährlich.

Welche Konsequenzen wird das für die Medikamentenforschung haben? Steuern wir in ein neues Zeitalter der medizinischen Rassenforschung?

Ich bin mir da noch nicht sicher. Aber es scheint so zu sein, dass Rasse in wachsendem Maße dazu dient, kommerzielle Ziele statt medizinischer Ziele in der Medikamentenentwicklung zu bedienen. Eine meiner größten Sorgen ist, dass durch das Haplotype Map Projekt neue genetische Informationen zutage gefördert werden, die in Kategorien organisiert sind, die den Anschein erwecken, Rasse sei genetisch bedingt.

INTERVIEW: STEPHANUS PARMANN