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: Vom Delphin gebissen

Zwei lesenswerte Bücher beschäftigen sich mit dem Leben von Schwimmpionierin Gertrude Ederle sowie mit Langstreckler Otto Kemmerich

Die eine wurde zum Weltstar, der andere hatte das Zeug dazu und ist es nur ganz knapp nicht geworden. Gertrude Ederle, die erste Frau, die den Ärmelkanal durchschwamm – und zwar schneller als all die Männer vor ihr – und Otto Kemmerich, der als Profilangstreckenschwimmer mal das Wattenmeer durchquerte, mal von Fehmarn nach Warnemünde schwamm. Über diese zwei schwimmhistorischen Personen liegen nun Biografien vor, beide im selben Kleinverlag erschienen.

Während eine an Sportgeschichte interessierte Öffentlichkeit über die Amerikanerin Trudy Ederle halbwegs Bescheid wissen dürfte, schließlich wurde sie 1926 in New York von zwei Millionen Menschen bei einer Konfettiparade geehrt, liegt der Bekannheitsgrad von Otto Kemmerich sogar da bei null, wo er gelebt und gewirkt hat, in Husum, auf den ostfriesischen Inseln, in Warnemünde, in Hamburg oder auch am Bodensee.

Kemmerichs Stern als Profischwimmer ging im August 1922 auf, als er trotz schlechten Wetters von Nordstrand zum Steindeich vor seiner Geburtsstadt Husum geschwommen war. Der Sportjournalist Erik Eggers zeichnet nach, wie Kemmerich in der Weimarer Republik auf die Idee kam, in einem Land, in dem es schon Berufsreiter und Berufsboxer gab, Berufsschwimmer werden zu wollen. Kemmerich ging strategisch an die Sache heran: 1923 durchquerte er mit viel medialem Tamtam den Bodensee, mit einem selbst entworfenen Gummianzug übte er sich im Eisschwimmen, vor Kurgästen schwamm er durchs Wattenmeer, und auch international versuchte er zu reüssieren. Nur am Ärmelkanal hatte er kein Glück.

Nicht so Gertrude Ederle, die zwar 1924 schon Olympiasiegerin geworden war und in Amerika sensationelle Erfolge im Langstreckenschwimmen vorzuweisen hatte. Der Kanal ist heute noch schwierig und gefährlich zu durchkraulen, aber 1925 (Ederles erster, gescheiterter Versuch) und 1926 (Ederles triumphaler Erfolg) lagen noch viel weniger Kenntnisse über die Meerenge zwischen Frankreich und England vor als heute. Die Autorin Anne-Kathrin Kilg-Meyer zeigt überzeugend auf, dass Ederle, die von der Women’s Swimming Association unterstützt wurde, einen Beitrag zur Emanzipation leistete. „Auf den ersten Blick gelingt ihr eine einzigartige sportliche Leistung. Auf den zweiten gewinnt sie eine Schlacht für die Frauenrechte.“

Dass dieser Aspekt bei Otto Kemmerich fehlte, dürfte aber nicht der Grund dafür sein, dass er heute weitgehend vergessen ist. Vielmehr fehlte ihm einfach die Kanaldurchquerung – am 23. August 1926, nur wenige Wochen nach Ederle, hatte ihn nicht weit von der Küste bei Dover entfernt ein Delphin angefallen. Das Projekt war gescheitert, und für einen neuen Anlauf fand er keinen Sponsor mehr.

Kemmerich überlegte sich neue Projekte: Er schwamm gegen einen Seehund um die Wette, und er tingelte mit einem von ihm selbst gezähmten Löwen durch Zirkusse. Als seine Löwin 1938 starb, verarmte er, und unter den Bedingungen des NS-Regimes konnte er nicht mehr durchstarten. Nach dem Krieg versuchte er es 1952 wieder als Rekordschwimmer – und kam vor Sylt um.

Gertrude Ederle hingegen konnte ihren Ruhm weitgehend genießen, auch wenn sie fast ihr gesamtes Gehör verlor und nach einem Treppensturz 1933 eine schwierige Wirbelsäulenverletzung erlitt. Hochgeehrt starb sie 2003 in New Jersey. Gerade wenn man die Biografien von Ederle und Kemmerich parallel liest, offenbart sich, wie sehr Spitzensport zwar schon ab den zwanziger Jahren zu Weltkarrieren und Ruhm verhelfen konnte. Aber auch, wie riskant es in materieller und auch in körperlicher Hinsicht war, mit sportlichen Spitzenleistungen ein ökonomisches Auskommen zu finden.

Martin Krauß

Erik Eggers: „Der Mensch als Fisch. Die Abenteuer von Otto Kemmerich, Husumer Schwimmpionier“. Eriks Buchregal

Anne-Kathrin Kilg-Meyer: „Gertrude Trudy Ederle. Eine Schwimmerin verändert die Welt“. Eriks Buchregal