die woche in berlin
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Immer mehr Intensivbetten sind belegt: Die Corona-Ampel zeigt Gelb, Tendenz Rot – da nützen alle Appelle nichts. Die tatsächliche Eröffnung des BER lenkte das Interesse mal kurz auf klimafreundliches Fliegen. Und Flüchtlinge aus den Lagern in Griechenland sind in Berlin sehr willkommen, doch was der Bund mit seiner vorschnellen Anhörungspraxis macht, ist ein Skandal.

Leider wenig Hoffnung auf Einsicht

Die Corona-Ampel springt bei der Bettenauslastung auf Gelb

Reicht das? Bringt das auch jene zur Vernunft, die weiter die Pandemie kleinreden, nur eine andere Form von Grippe sehen und meinen, höhere Infektionszahlen seien nur auf mehr Tests zurückzuführen und kein Zeichen größerer Coronaverbreitung? Erstmals ist am Dienstag die Berliner Corona-Ampel bei der Auslastung der Intensivbetten mit Covid-19-Patienten von Grün auf Gelb gesprungen. 15 Prozent ist der Grenzwert, auf 19,1 Prozent stieg die Bettenauslastung dem Coronalagebericht der Gesundheitsverwaltung des Senats zufolge bis Reaktionsschluss am Freitagmittag. Rot zeigt die Ampel ab 25 Prozent.

Regierungschef Michael Müller, Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (beide SPD) und diverse Senatskollegen haben sich den Mund schier fusselig geredet mit wiederholten Appellen an jeden Einzelnen. Zum „Monat der Eigenverantwortung“ rief Müller diesen November bei der Sondersitzung des Abgeordnetenhauses am Sonntag aus. Man könne in einer Vier-Millionen-Einwohner-Stadt nicht vor jedes Haus einen Polizisten zur Überwachung der Coronaregeln stellen – und wolle es in einer liberalen Stadt auch gar nicht, ist Müllers Mantra. Jeder und jede habe es selbst in der Hand, zur Eindämmung der Pandemie beizutragen.

Das hat bislang leider nicht durchweg geklappt. Was nicht Müllers Fehler ist und auch nicht an mangelnder Aufklärung liegen kann. Es gibt eben keine Bürgerpflicht, weder eine erste noch zweite oder x-te zum Zuhören und Mitdenken. Auch ein halbes Jahr nach dem echten Lockdown sind Sprüche zu hören wie: Ich bin Sportler, ich hab ein starkes Immunsystem, mir kann nichts passieren.

Als ob es nicht ungezählte Male den Hinweis gab, dass jeder und jede unabhängig von der eigenen Konstitution Viren(über)träger sein kann. Zynischerweise sind es oft die größten Corona-Regelbrecher, die sich am meisten und lautesten über die diversen Einschränkungen beklagen.

Bringt es also diese Leute zur Einsicht, wenn sich das explodierte Ausmaß der Pandemie nun nicht mehr nur in gesichtslosen Infektionszahlen, sondern auch in konkreten Gesichtern von Patienten zeigt, die in zunehmender Zahl auf der Intensivstation liegen? Oder braucht es eine weitere Eskalationsstufe? Braucht es erneut Bilder wie im Frühjahr aus Bergamo oder Manhattan, von zu Leichentransportern umfunktionierten Armeefahrzeugen und Massengräbern?

Der Optimist in einem, der an das (Rest-)Gute im Menschen glaubt, hofft auf Ersteres. Der Pessimist, der zunehmend schlicht nur Realist ist, kann das nicht: Dafür standen diese Woche schon wieder zu viele zu nah zusammen beim Imbiss an, saßen sich danach beim Essen munter plaudernd und Tröpfchen sprühend ohne Maske nah gegenüber, machten im Park immer noch zu wenige zu zweit oder dritt Spazierende Entgegenkommenden Platz.

Lässt sich das aufhalten? Kaum. Wie gesagt: Es lässt sich nicht hinter jede und jeden ein Aufpasser stellen. Das ist dann leider auch Teil einer liberalen Stadt: Dass jeder für sich beanspruchen kann, einfach nur daneben zu sein. Stefan Alberti

Alle fliegen jetztauf Öko

Der BER ist in Betrieb. Aber kann er klimafreundlich sein?

Sie haben es nicht geschafft: Die angekündigte Blockade der Eröffnung des Pannenflughafens BER am vergangenen Samstag kam nicht zustande. Die Ehrengäste redeten, die ersten Flugzeuge landeten, der BER ist nun wirklich in Betrieb. 14 Jahre nach dem ersten Spatenstich.

Aber die Proteste der Klimaaktivis­t*in­nen im Terminal 1, davor und rund um den BER waren nicht umsonst. Denn tatsächlich war die Klimakrise neben ­Corona das zentrale Thema des Eröffnungswochenendes. Fast jeder, der glaubte, etwas zur Eröffnung zu sagen zu haben (es waren tatsächlich nur Männer), betonte die Problematik – und nannte andere Lösungsansätze.

Der Chef von Easyjet glaubte zwar an eine schnelle Erholung der wegen der Pandemie wichtigsten Airline am BER, erklärte aber zugleich, dass die Luftfahrtindustrie die CO2-Emissionen deutlich reduzieren müsse. Sein Lufthansa-Kollege berichtete, man habe aus diesem Grund extra klimafreundlichen Sprit in die Eröffnungsmaschine getankt.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) wiederum nahm sogar direkt Bezug auf die Demonstrationen am BER: „Wir stehen unter immensem Druck.“ Seine Lösung: Nicht weniger fliegen – „wir brauchen den Flugverkehr“ –, sondern die Versorgung des BER mit umweltfreundlicher Energie aus Brandenburg. Da sei das Land bundesweit Vorreiter.

Berlins mitregierende Grüne sehen das ein bisschen anders. Es müsse weniger geflogen werden, hatte ihre Fraktionschefin Antje Kapek im taz Talk vor der Eröffnung gesagt. Eine Möglichkeit dafür: Die Tickets teurer machen. „Fliegen ist bisher zu günstig, das muss einen angemessenen Preis haben.“ Als Land und Miteigentümer habe man darauf Einfluss, indem man etwa die Entgelte für Abflüge und Landungen erhöhe.

Wo viele Positionen zusammenkommen wie in diesem Fall, besteht die Gefahr, dass statt eines Kompromisses – ein bisschen teurer, technische Aufrüstung der Flugzeuge, mehr Ökoenergie – der problematische Status quo dauerhaft erhalten bleibt, weil niemand von sich aus Zugeständnisse machen möchte. Zudem haben alle drei Eigentümer, also der Bund, Berlin und Brandenburg, ein ökonomisches Interesse daran, dass der BER viel Geld bringt, schließlich ist die Flughafengesellschaft in argen finanziellen Schwierigkeiten, nicht nur durch Corona.

Im Rückblick könnten die ganzen Reden zur Eröffnung als Paradebeispiel für Greenwashing gelten, also das Vortäuschen eines ökologischen Verhaltens oder Vorhabens. Das darf aber nicht passieren. Ein Grund ist die Begrenzung der Erderhitzung, zu der der Flugverkehr viel beiträgt. Ein anderer, den meisten Politiker*innen im wahrsten Sinne des Wortes näherliegender, ist, dass man nach den vielen Verzögerungen beim Bau des BER auf jeden Fall darauf verzichten sollte, den Flughafen zu erweitern. Eine Pannengeschichte dieser Dimension reicht für mehrere Generationen. Bert Schulz

Alle drei Eigentümer, also der Bund, Berlin und Brandenburg, haben ein ökonomisches Interesse daran, dass der BER viel Geld bringt

Bert Schulz über die vielen BER-Eröffnungsreden, die allesamt klimafreundliches Fliegen zum Inhalt hatten

Asylanhörung schon am Ankunftstag

Flüchtlinge aus Griechenland: Bund macht keine gute Figur

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte im Juni angekündigt, 243 dringend behandlungsbedürftige Kinder von den griechischen Inseln gemeinsam mit ihren Familien in Deutschland aufzunehmen. Es sind Kinder, deren dringend benötigte Krankenhausbehandlung in Griechenland nicht möglich ist. Diese Zusage war nicht Seehofers Herzensangelegenheit, der Koalitionspartner SPD musste sie ihm hart abringen. Die Kinder sollten zusätzlich zu minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen aufgenommen werden, deren Aufnahme die Bundesregierung zuvor zugesagt hatte.

Das Angebot Berlins, darüber hinaus 300 Personen aus Griechenland allein in der deutsche Hauptstadt aufzunehmen, lehnte Seehofer ab. Auch andere Bundesländer und Kommunen hatten solche Offerten gemacht. Auch dort untersagte Seehofer die Aufnahme.

Nun sind seit August die meisten der kranken Kinder mit ihren Familien in Berlin eingetroffen. 21 werden noch kommen. Sie werden in Berlin in einer landeseigenen Erstaufnahmeeinrichtung betreut. Hauptamtliche und ehrenamtliche Flüchtlingsberater, Ärzte und Kirchengemeinden unterstützen sie dabei, in Berlin Fuß zu fassen, dringend nötige medizinische Behandlung und Deutschkurse zu bekommen. Das alles ist Landessache oder Anliegen von zivilgesellschaftlichem Engagement. Und nach allem, was man weiß, klappt das auch.

Doch diese Flüchtlinge müssen in Berlin auch ihr Asylverfahren durchlaufen. Nur wenn ihnen dabei Asyl oder ein Schutzstatus zugesprochen wird, dürfen sie in Deutschland bleiben. Und für das Asylverfahren ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig – eine Behörde, die Horst Seehofer untersteht.

Dass dieses Bundesamt ohne Not die aus Griechenland übernommenen Flüchtlinge bereits am Ankunftstag oder einen oder zwei Tage später zur Asylanhörung einlädt, ohne dass sie durch eine unabhängige Asylverfahrensberatung darauf vorbereitet werden können, ist ein Skandal. Egal ob das der politische Wille der Seehofer unterstellten Behörde ist oder Mangel an Sensibilität. Mindestens ein Antrag einer palästinensischen Familie wurde bereits im Schnellverfahren abgelehnt, wie diese Woche bekannt wurde.

Die Anhörung ist entscheidend für den Ausgang des Asylverfahrens. Wird zum Beispiel eine fluchtrelevante Vergewaltigung im Herkunftsland aus Scham nicht benannt oder werden Dokumente über die Konversion zum christlichen Glauben oder über die Erkrankung von Familienmitgliedern nicht vorgelegt, werden sie in aller Regel auch später nicht berücksichtigt. Selbst bei einer Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen den ablehnenden Asylbescheid kann das so sein.

Darum ist es so wichtig, dass Neuankömmlinge vor der Anhörung zur Ruhe kommen können und dass eine unabhängige Asylverfahrensberatung oder ein Anwalt Asylsuchende darauf vorbereitet. Das braucht Zeit, und die sollte das Bundesamt gewähren. Marina Mai