Segen für Schröder

AUS BERLIN ULRIKE WINKELMANN

Bundespräsident Horst Köhler hat gestern Abend den Neuwahlplan des Bundeskanzlers Gerhard Schröder abgesegnet. Köhler sagte um 20 Uhr 15 im Fernsehen: „Ich habe heute den 15. Deutschen Bundestag aufgelöst und Neuwahlen für den 18. September angesetzt.“ In der „ernsten Situation“, in der sich das Land befände, brauche es eine „handlungsfähige Regierung“. Über die Bekanntgabe der Entscheidung in einer Fernsehansprache hatte das Bundespräsidialamt erst am Nachmittag die Öffentlichkeit informiert.

Damit hat Schröder mit seinem Plan, vorgezogene Neuwahlen durchzuführen, die erste verfassungsrechtliche Hürde genommen. Als Nächstes muss dann das Bundesverfassungsgericht über die voraussichtlichen Klagen der Abgeordneten Werner Schulz (Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD) entscheiden. Sie hatten angekündigt, für den Fall von Köhlers Ja nach Karlsruhe zu gehen, weil sie die Vertrauensfrage Schröders am 1. Juli für fingiert hielten. In den Worten des früheren Bürgerrechtlers Schulz war sie „ein inszeniertes, ein absurdes Theater“. Schulz will heute früh eine Pressekonferenz geben.

Bei allen verfassungsrechtlichen Zweifeln an Schröders Vorgehen haben die meisten Beobachter ein Ja Köhlers für wahrscheinlich gehalten, dem ein Ja des Bundesverfassungsgerichts folgen werde. Sollte das Gericht rechtzeitig entscheiden, können die Wahlen am ersten Sonntag nach Ablauf sämtlicher Sommerferien, dem 18. September, stattfinden.

Politisch ist es kaum noch vorstellbar, dass das Gericht die Wahlen noch stoppt. Seit dem Abend der Landtagswahlen in NRW am 22. Mai sind die Parteien im Wahlkampf. Die Machtverhältnisse haben sich deutlich verschoben: Die Kanzlerkandidatin der Union, Angela Merkel, genießt größere Zustimmung als Schröder. Aus PDS und der Wahlalternative WASG hat sich eine Linkspartei gebildet, die wohl in den Bundestag einziehen wird.

Es war SPD-Parteichef Franz Müntefering, der nach Bekanntgabe der für die SPD katastrophalen Ergebnisse in Nordrhein-Westfalen erklärte, nun müsse es Neuwahlen geben, um das „strukturelle Patt“ zwischen Bundestag und Bundesrat aufzuheben. Auch der Kanzler selbst argumentierte zunächst damit, er könne gegen den Bundesrat, der schon lange von der Union dominiert wird, nicht weiter anregieren. Deshalb brauche er ein neues, frisches Wählervotum für seine Regierungslinie, vor allem die „Agenda 2010“. Doch diese Neuwahlbegründung wurde bald – auch durch das Kanzleramt – von einer anderen verdrängt: Die Linken in der Koalition, besonders aber bei der SPD, hätten Schröder zu sehr unter Druck gesetzt. Tatsächlich hatten einige Abgeordnete angekündigt, sie würden auf einen Kurswechsel drängen, falls die Wähler die SPD auch NRW für ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik abstraften.

Am 1. Juli stellte Schröder im Bundestag die Vertrauensfrage und bekam das Misstrauen, um das er eigentlich gebeten hatte: 151 Ja-, 296 Neinstimmen und 148 Enthaltungen. Damit war juristisch zunächst einmal die Bedingung erfüllt, wonach der Kanzler vom Parlament das Misstrauen ausgesprochen bekommen muss, damit der Bundespräsident Neuwahlen einleiten kann.

Doch SPD-Chef Müntefering stiftete an diesem Tag noch einmal gehörige Verwirrung. Er erklärte im Parlament: „Wir sind einig, dass Gerhard Schröder das Vertrauen der SPD-Bundestagfraktion hat.“ Zu Merkel sagte er: „Machen Sie ein Misstrauensvotum, dann werden Sie sehen, dass Sie die Minderheit sind.“ Dies wiederum hätte für Köhler auch ein weiterer Anlass sein können, nun wie Schulz oder Hoffmann die Vertrauensfrage für unernst und unbegründet zu erklären. Doch so hat Köhler sich entschieden, Schröders Darstellung zu folgen.