LESERINNENBRIEFE
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Hat der Staat sich zurückgezogen?

■ betr.: „Weniger Staat, mehr Demokratie“ von Paul Nolte,taz vom 26. 9.09

Nolte begrüßt, dass der Staat sich zurückgezogen hat zugunsten einer Bürgergesellschaft. Aber hat der Staat sich zurückgezogen?

Auf der Seite links neben Nolte geht es um Schäubles kommende Angriffe auf die Bürgergesellschaft, die CDU erwägt AKW aufzurüsten. Wir lesen täglich, dass in Afghanistan allein die militärische Option gewählt wird, während die deutsche Politik die bürgerschaftliche Option ignoriert, sie dient höchstens zur Stimmungsmache. Hartz IV ist ein massiver Eingriff in die Grundrechte arbeitsloser Bürger. Das Sozialgesetzbuch wird zum Sozialstrafgesetzbuch. Ist das hier der machtlose Staat?

Der machtlose Staat zeigt sich woanders. In den vergangenen Monaten haben die Stromkonzerne deutlich gemacht, wie sie, auch wenn es schiefgeht, mit der staatlichen Atomaufsicht umspringen können, schadlos. Das Finanzkapital ist schon wieder fleißig dabei, mit windigsten Geschäften den ganz großen Reibach zu machen, während wir nicht wissen, mit welchen sozialen Einschnitten der Schaden der Krise vom letzten Jahr zu begleichen ist – siehe Barbara Dribbusch über Privatisierung auf der Seite neben Nolte: „Holzweg statt Ausweg“. Während sich Nolte für einen Staat als „Moderator“ engagiert, verhandeln in Pittsburgh die G-20-Staatsvertreter hilflos darüber, wie denn der Kapitalismus zu regulieren ist. Nolte macht den Eindruck, als ahne er nichts von den materiellen Grundlagen und Bewegungsgesetzen unser Gesellschaft.

Die staatliche Härte von Hartz IV ist auch das Ergebnis von schwacher bürgerschaftlicher Selbstorganisation, von geschwächten Gewerkschaften und Sozialversicherungen. Wir sehen Betriebe, die Arbeitsverträge nicht einhalten, die Hungerlöhne zahlen und die bei Krankheit sofort rausschmeißen. Wir sehen Schulen und U-Bahnen, in denen man nicht mehr auf den bürgerschaftlichen Umgang miteinander vertrauen kann. Nolte hat die Spaltung der Gesellschaft verinnerlicht. Er will die Grenzen der Parallelwelten genauso wenig überschreiten wie viele Politiker, denen wir vorhalten, sie kriegten das wirkliche Leben in Deutschland nicht mehr mit.

ARNOLD VOSKAMP, Münster

Symbolische Gesten

■ betr.: „Im Namen des Volkes: Vier Jahre“, taz vom 28. 9. 09

Die Frage, ob es zu einer neoliberalen Wende kommen wird, kann mit einem Jein beantwortet werden. Schließlich hat Angela Merkel zum zweiten Mal in Folge bei einer Bundestagswahl ein schlechtes Ergebnis eingefahren und dürfte wissen, dass der CDU bei einer Politik der sozialen Kälte ein ähnliches Schicksal wie der SPD droht.

Deshalb wird es zu symbolischen Gesten kommen wie einer höheren Vermögensschonung für Hartz-IV-Bezieher, was auch die Finanzdienstleister zufriedenstellen dürfte, die den letzten Parteitag der FDP gesponsert haben und private Rentenvorsorgen anbieten. Verlierer werden hingegen die Millionen von Menschen sein, die im Niedriglohnsektor arbeiten müssen und vergeblich auf eine respektvolle Behandlung warten. Für sie wird sich gar nichts ändern, außer dass künftig womöglich der Steuerzahler in Form des Kombilohnmodells für den Geiz der Unternehmer aufzukommen hat.

RASMUS PH. HELT, Hamburg

Splitterpartei SPD

■ betr.: „Der Niedergang der stolzen Sozialdemokraten“,taz vom 28. 9. 09

Die neue Splitterpartei SPD sollte mit gerade mal 23 Prozent der Wählerstimmen ernsthaft überlegen, ob ihr Spitzenkandidat Steinmeier und ihr Parteichef Müntefering noch das richtige Führungsduo in der Bundestagsfraktion und für die Partei sind. Bleiben sie in der Partei- und Fraktionsführung, ist der endgültige Abstieg der Sozialdemokraten in die politische Bedeutungslosigkeit nur noch eine Frage der Zeit. Beide sind als Architekten der Agenda 2010 und der unsozialen Hartz-IV-Gesetze die Hauptverantwortlichen für das desaströse SPD-Wahldebakel. ALBERT ALTEN, Wernigerode

Oppositionszeit nutzen

■ betr.: „Unter den Erwartungen“, taz vom 28. 9. 09

Ob die Grünen die fortgesetzte Oppositionszeit nun nutzen werden, auch außerparlamentarisch wieder Boden unter die Füße zu kriegen, bleibt abzuwarten. Na ja, wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt. MICHAEL HEINEN-ANDERS, Köln