Hilfe für den Allmächtigen?

Amnon Kapeliuks Arafat-Biografie überrascht mit zahlreichen neuen Erkenntnissen. Sie sieht die Welt mit den Augen des verstorbenen PLO-Chefs – und lässt jegliche Kritik an ihm vermissen

VON GEORG BALTISSEN

Der PLO-Chef Jassir Arafat soll vergiftet worden sein. Diesen Verdacht äußerte zu Beginn des Jahres sein Neffe Nasser al-Kidwa, ehemaliger Studentenführer und heute Außenminister der Autonomieregierung. Als Neffe des Toten gehörte er zu den wenigen, die vom französischen Militärhospital Percy in Paris eine Kopie der Krankenakte Arafats erhalten hatten. Und darin sei als Todesursache „unbekannt“ verzeichnet gewesen.

Eine Autopsie Arafats fand nicht statt, obwohl sie von seinem jordanischen Leibarzt Aschraf al-Kurdi gefordert wurde. Die palästinensische Kommission, die sich von Tunis aus um eine Aufklärung der Todesursache bemühen soll, hat bislang keine Ergebnisse zutage gefördert. Auch die jüngste Biografie des legendären PLO-Führers kann das Rätsel um Arafats Tod nicht lösen. Dennoch legt ihr Autor Amnon Kapeliuk implizit nahe, dass Israels Regierungschef Ariel Scharon für Arafats Tod verantwortlich sei. Und er verweist auf eine eindrucksvolle Zahl von Zitaten, die Scharons Absicht belegen, den Erzfeind zu beseitigen.

Bereits im ersten Jahr seiner Amtszeit bedauerte Scharon in einem Interview mit der Zeitung Ma’ariv, den PLO-Führer nicht schon 1982 getötet zu haben. Schlüssig beschreibt Kapeliuk, wie Scharon nach seinem Wahlsieg im Jahre 2001 alles daransetzte, Arafat auszuschalten. Erster Höhepunkt war die 33-tägige Belagerung und weitgehende Zerstörung von Arafats Regierungssitz in Ramallah im März 2002. Spätestens bei seinem Besuch im Weißen Haus am 14. April 2004 löste Scharon sich von dem Präsident Bush gegebenen Versprechen, Arafat nicht persönlich anzutasten. Uri Dan, ein Vertrauter des israelischen Ministerpräsidenten, erklärte, Bush habe das Schicksal Arafats dem Allmächtigen anheim stellen wollen – und Scharon habe geantwortet, „gelegentlich müsse man dem Allmächtigen ein wenig helfen“.

Auch wer die bislang vorliegenden Biografien Arafats kennt, insbesondere die von Alan Hart, „Arafat, Terrorist or Peacemaker“, kann dem umfangreichen Werk Kapeliuks durchaus überraschende und neue Einsichten abgewinnen. Etwa über Camp David. Entgegen der amerikanischen und israelischen Propaganda belegt Kapeliuk, dass es nicht Arafat war, der den Dreier-Gipfel mit US-Präsident Bill Clinton und Israels damaligem Regierungschef Ehud Barak im Jahre 2000 zum Scheitern brachte. Anhand von Aussagen Baraks und seiner engsten Berater weist Kapeliuk nach, dass es dem Israeli nur darauf ankam, Arafat vorzuführen, ihm „die Maske vom Gesicht zu reißen“. Und auch Bill Clintons wollte ihn als kompromisslosen „Neinsager“ entlarven.

Der in die Ecke gedrängte Arafat vertraute dem Biografen denn auch an, dass die zwei Wochen in Camp David für ihn schlimmer waren als die 88-tägige israelische Belagerung in Beirut 1982. Viele Details der Geschichte Jassir Arafats sind schon erzählt worden. Doch vermag Kapeliuk ihnen immer wieder eine persönliche Akzentuierung zu geben. Nicht umsonst hat er mehr als 150 Gespräche mit dem PLO-Führer geführt. Kapeliuk sieht die Entwicklung des israelisch-palästinensischen Konflikts mit den Augen Arafats – und diesen als besonnenen und pragmatischen Führer, dessen aufrichtige Absicht ein Friedensschluss mit Israel und die Errichtung eines palästinensischen Staates war.

Arafats freundschaftliches, ja inniges Verhältnis zu Lea und Jitzhak Rabin nimmt in der intimen Schilderung Kapeliuks geradezu melodramatische Züge an. Andere israelische Politiker wie Ehud Barak kommen weniger gut weg. Schließlich war dieser als Militärkommandeur an der Liquidation dreier hochrangiger PLO-Führer in Beirut im Jahre 1973 persönlich beteiligt. Die Oslo-Vereinbarungen lehnte er ab, als Ministerpräsident ließ er die Siedlungen ausbauen und den Verhandlungsprozess platzen.

Offene Kritik am Führungsstil Arafats sucht man in dieser Biografie vergeblich. Dass Arafat vom „Schwarzen September“ und dem Überfall auf die Olympiamannschaft Israels in München 1972 nichts gewusst haben will, nimmt Kapeliuk zur Kenntnis. Die verfehlte Parteinahme Arafats für Saddam Hussein im Jahre 1990 nach der Besetzung Kuwaits mildert er ab, indem er die – gewiss vorhandenen – Vermittlungsversuche des PLO-Führers und die innerpalästinensische Stimmung als Erklärung anbietet. Das „System Arafat“, das mittels der Kontrolle und Vergabe von Geldern in patriarchalischer Selbstherrlichkeit in der Exil-PLO wie in der Autonomiebehörde Korruption und Mittelmäßigkeit förderte, ist für Kapeliuk kein Thema. Ebenso ignoriert er die Distanz wichtiger palästinensischer Intellektueller wie Edward Said oder Mahmud Darwisch zu Arafat.

Dennoch: Diese Biografie ist die angemessene Würdigung der historischen Lebensleistung eines Mannes, der den vergessenen Flüchtlingen Palästinas ein Gesicht und eine Stimme, eine Organisation und eine Zukunft gegeben hat. Dem es aber nicht vergönnt sein sollte, die Staatswerdung Palästinas persönlich zu erleben. Es ist das beste Buch, das im Palmyra Verlag zum Nahostkonflikt erschienen ist.

Amnon Kapeliuk: „Yassir Arafat. Die Biographie“. Vorwort von Nelson Mandela. Aus dem Französischen vom Angelika Hildebrandt und Maximilien Vogel. Palmyra Verlag, Heidelberg 2005, 24,90 Euro