„Ich hatte ja schon meine Auszeit“

Der neue Bau- und Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU) im Gespräch über Gelsenkirchen, Bescheidenheit in der Infrastrukturpolitik, die Jobmaschine Flughafen – und über den Traumurlaub seines Chefs Jürgen Rüttgers

INTERVIEW: KLAUS JANSEN
UND HOLGER PAULER

taz: Ihre Kabinettskollegen sind schon fast alle im Urlaub. Steht der politische Betrieb in NRW bis zur Bundestagswahl still?

Oliver Wittke: Nein. Ich war heute morgen um viertel vor sieben im Büro. Ich kann die Sommerpause als Minister wunderbar nutzen, um Antrittsbesuche zu machen und mich in meine Themen einzuarbeiten.

Seit ihrer Abwahl als Gelsenkirchener Oberbürgermeister bei der Kommunalwahl 2004 hatten Sie kein politisches Amt. Fangen Sie deshalb so früh an?

Meine Auszeit hatte ich ja schon. Es ist gut, jetzt loszulegen – auch wenn es traurig war, meine Familie mit dem Auto an die Ostsee zu bringen und am nächsten Tag alleine wieder zurückzufahren.

Gleich in Ihren ersten Amtswochen sind Sie als Krisenmanager gefragt. Nach Korruptionsskandalen soll die landeseigene Immobilienfirma LEG verkauft werden.

Krisenmanager ist das falsche Wort. Aber es gibt Einiges gerade zu rücken. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf festgelegt, die LEG zu verkaufen.

Ausländische Fondsgesellschaften haben bereits Interesse bekundet. Auch der Wülfrather Bauunternehmer Uwe Clees will kaufen und hat eine halbe Milliarde Euro geboten – der war in den Wuppertaler Spendenskandal verwickelt. Will da ein Korrupti ein korruptes Unternehmen kaufen?

Von Clees‘ Angebot habe ich auch nur über die Presse erfahren. Dazu äußere ich mich nicht. Für den Verkauf gibt es ein klares Verfahren: Zuerst wird aufgeklärt, was schief gelaufen ist, zum Beispiel die vom Landesrechnungshof angekreideten Vorgänge. Dann wird die Wohnungssparte verkaufsfähig gemacht. Erst danach wird veräußert. Die Reste der LEG werden dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes angegliedert.

Mieter befürchten die Privatisierung öffentlicher Wohnungen und zusätzlich Lockerung des Kündigungsschutzes. Sie haben Angst, zum Spekulationsobjekt zu verkommen.

Da schafft schon der Koalitionsvertrag Klarheit. Wir werden die Wohnungen nicht zum größtmöglichen Gewinn veräußern. Beim Verkauf wird entscheidend sein, dass Sozialstandards eingehalten werden. Außerdem hat schon die alte Landesregierung LEG-Wohnungen verkauft. Ich warne da vor Panikmache und Scharfmacherei.

Es bleibt die Angst, dass unter einem CDU-Bauminister sozialer Wohnraum knapp wird. Sie wollen künftig nur noch Mietzuschüsse zahlen, statt in den Bestand zu investieren.

Schnellschüsse gibt es nicht. Wahrscheinlich werden wir erst einmal kleinere Modellversuche starten. Dabei gebe ich zu bedenken: Wenn ich Menschen fördere, ist das Geld weg. Wenn ich in Wohnungen investiere, ist das ein System, das sich im Idealfall selbst finanziert.

Geben Sie so nicht ein wichtiges Instrument der Stadtentwicklung auf?

Die wichtigsten Aufgaben in der Stadtentwicklung sind andere. Man muss versuchen, die Leute in den Städten zu halten. Das geht nicht allein durch bessere Familienpolitik und dadurch, dass man mehr Wohnraum ausweist. Die Einwohnerzahl wird in Regionen wie dem Ruhrgebiet trotzdem weiter zurückgehen. In ersten Städten werden Kindergärten und Schulen geschlossen. Das wird in den nächsten Jahren rapide zunehmen.

Wie reagiert der Minister?

Wir müssen Innenstädte stärken. Da wo es notwendig ist, müssen wir aber auch Innenstädte zurückbauen. Nehmen Sie das Beispiel Gelsenkirchen: Die Innenstadt ist auf 400.000 Einwohner ausgelegt. Die Stadt hat jetzt noch 270.000 Einwohner. Da kann man revitalisieren, wie man will – das wird man nicht ans Laufen kriegen. Das heißt: Aus Ladenlokalen müssen Seniorenwohnungen, betreutes Wohnen oder ähnliches werden.

Sie reden wie in Ihrer Zeit als Gelsenkirchener Oberbürgermeister. Da wurden Sie damit berühmt, dass Sie die Stadt arm geredet und um Fördermittel gebettelt haben. Wollten Sie dieses Image nicht ablegen?

Ich weiß nicht, ob das ein Image ist. Aber ich werde mir Eines beibehalten: Mit realistischen Augen das anzusehen, was vor Ort los ist. Es bringt überhaupt nichts, schön zu reden. Ich bin als Christdemokrat eigentlich unverdächtig, Ferdinand Lassalle zu zitieren – aber schon der hat gesagt: Die revolutionärste Tat ist, das offen zu sagen, was tatsächlich ist. Aber natürlich ist es in meiner jetzigen Situation einfacher, nicht zu jammern: Das Land ist erheblich bunter und vielfältiger als zum Beispiel Gelsenkirchen.

Schwarzmalerei passt auch nicht so recht zu dem Slogan Ihres Koalitionspartner FDP: „NRW braucht Tempo“...

Ich gehöre der FDP nicht an und bin keiner, der jede Woche eine neue Sau durchs Dorf treibt.

Dennoch machen Sie große Ankündigungen. Sie wollen die Standstreifen auf Autobahnen teilweise freizugeben. Ist das die symbolische Umsetzung von „Arbeit hat Vorfahrt“?

Ich habe das Beispiel gewählt, weil es verschiedene Dinge symbolisiert. Erstens: Unkonventionelle Herangehensweise an neue Themen. Zweitens: Wir werden nicht mehr viel Geld haben, um Verkehrspolitik zu betreiben. Wir müssen überlegen, wie wir mit möglichst wenig Mitteln unsere Ziele erreichen. Drittens: Manchmal muss man vorpreschen und einen Stein ins Wasser werfen.

Also fahren die Fans im Sommer 2006 auf dem Standstreifen zu den WM-Stadien?

Es wäre doch schwachsinnig, wenn die Fans auf der A2 von Oberhausen bis Dortmund im Stau stehen, nur weil wir vor der Arena auf Schalke der Standstreifen nicht freigegeben ist.

Reicht das? Es gab mal ehrgeizigere Verkehrsprojekte zur Fußball-WM. Den Rhein-Ruhr-Express zum Beispiel.

Den wird die neue Landesregierung in den verbleibenden zehn Monaten bis zur WM nun wirklich nicht mehr hinkriegen. Das liegt aber auch daran, dass die alte Regierung über Jahre der Schimäre Metrorapid hinterhergerannt ist. Mit dem Geld, das allein für die Planungskosten für den Metrorapid ausgegeben worden ist, wären wir beim Rhein-Ruhr-Express erheblich weiter.

Ist es nicht Ihre Schuld, wenn Autos statt Bahnen zu den WM-Stadien fahren?

Wir tun auch im ÖPNV Etliches. Wir haben die Bahnhöfe in Köln, Gelsenkirchen und am Dortmunder Westfalenstadion ausgebaut. Wir haben die Stadtbahnlinie zum Kölner Stadion verlängert. Wir werden die Kapazitäten der Straßenbahn in Gelsenkirchen stark erhöhen, indem mehr Wagen angehängt werden können. Und wir werden zusätzliche Bahnen verkehren lassen: Noch kurz vor der Haushaltssperre haben wir zusätzliche Züge zwischen Köln und Hamm in trockene Tücher gebracht.

Ihre Aufforderung zur Kooperation der Flughäfen Köln/Bonn und Düsseldorf hat aber nichts mehr mit der WM zu tun?

Nein. Es gibt Menschen, die das für eine Generationenaufgabe halten. Ich bin optimistischer: Mir kann niemand erklären, warum ich nicht in Düsseldorf abends einen Koffer aufgeben und morgens von Köln aus losfliegen kann? Das funktioniert in New York zwischen Flughäfen, die doppelt so weit auseinander liegen wie Köln uns Düsseldorf. Das ist hier auch möglich.

Die großen Flughäfen sollen kooperieren, die kleinen ausgebaut werden?

Flughäfen sind wichtige Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen. Für Unternehmen sind Sie ein wichtiger Standortfaktor. Durch die neue Start- und Landebahn in Leipzig sind 10.000 neue Jobs entstanden – die hätte ich gerne in NRW gehabt.

Sie wollen die Landesbahn am Flughafen Münster/Osnabrück verlängern – die Anwohner protestieren.

Unsere Flughäfen müssen ausgebaut werden. Die Belange der Anwohner müssen dabei selbstverständlich geschützt werden. Aber ich sage ganz offen: Die Auflagen in Münster/Osnabrück schützen nicht Menschen, sondern Natur – und das auch nur vermeintlich. Wenn da Glasbausteine in die Startbahn eingebaut werden müssen, damit die Bachneunaugen darunter Tageslicht abgekommen...

Kippen Sie diese Auflagen?

Nein. Denn dann müssten wir ein neues Genehmigungsverfahren starten. Wir sind froh, dass wir das erste Genehmigungsverfahren nach zehn Jahren endlich abgeschlossen haben. An den bestehenden Auflagen wird sich das Land finanziell beteiligen.

Vor ein paar Jahren wähnten Sie viele auf dem Sprung in die Bundespolitik nach Berlin. Haben Sie noch Ambitionen?

Ich versuche immer da, wo ich bin, einen guten Job zu machen. Ich habe mich um die Verlängerung meines Mandats in Gelsenkirchen beworben. Das wollten die Wähler nicht. Jetzt bin ich in Düsseldorf. Die Frage Berlin stellt sich mir nicht.

Ihr Verhältnis zu Ministerpräsident Jürgen Rüttgers gilt nicht als das Beste. Sie haben vor Wochen gesagt, ihr Chef habe sich „verbessert“.

Also, kein gutes Verhältnis ist auch nicht richtig. Es hat sich auch – das will ich offen bekennen – in den letzten Monaten rapide verbessert.

Wie würden Sie ihre Beziehung zu Jürgen Rüttgers in drei Worten beschreiben?

In drei Buchstaben: Gut. Ich meine, man muss die Persönlichkeit Jürgen Rüttgers sehen. Jürgen Rüttgers ist jemand, der ein großer Stratege ist. Der, wie viele Leute sagen, kopfgesteuert ist – wobei das nicht abwertend gemeint ist. Er ist ein eher rationaler Mensch. Ich bin ein eher emotionaler Mensch. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob Jürgen Rüttgers es sich vorstellen könnte, mit der Familie eines Ministers in den Urlaub zu fahren. Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen, mit denen ich es mir auch vorstellen könnte, privat zu verkehren. Vielleicht ist das der Unterschied zwischen uns.

Mit Jürgen Rüttgers würden Sie demnach nicht so gern in den Urlaub fahren?

Ich würde mit jedem gerne in den Urlaub fahren. Aber dieses Jahr mache ich ja keinen Urlaub.