Wo Bierdeckel-Fritze noch eine Mehrheit hat

taz geht wählen – die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Porträt. Wer kämpft um das Mandat? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Hochsauerlandkreis

Hochsauerlandkreis?Ein Hochsauerland, ein Landkreis, ein Wahlkreis. Der Bundestagswahlkreis 148 ist einer der flächenmäßig Größten in der gesamten Bundesrepublik. 280.000 Einwohner. Gut 210.000 Wahlberechtigte. Eine „waldreiche Mittelgebirgslandschaft mit Seen und reizvollen Flusstälern prägt das geographische Bild“, heißt es im Tourismus-Info. Zum Wahlkreis gehören so prickelnde Ortschaften wie Arnsberg, Brilon, Hallenberg, Marsberg, Medebach, Meschede, Olsberg, Schmallenberg, Sundern und Winterberg. Und wer keine Lust mehr auf den HSK hat, der nimmt die gut ausgebaute Autobahn 46 Richtung Ruhrgebiet.Wer verteidigt den Wahlkreis?Friedrich Merz, 49 Jahre alt. Der CDU-Politiker hat einige böse Karriereknicke hinter sich. Den Chefposten in der Unions-Fraktion hat er an Angela M. abgeben müssen. Großer Finanzexperte ist Bierdeckel-Fritze auch nicht mehr. Bei den Konservativen ist Merzens Stern gesunken, aber im Hochsauerlandkreis ist er der anerkannte Großstaatsmann. Seit 1994 holte er den Wahlkreis für die CDU, bei der letzten Wahl 2002 gewann Merz stolze 53,7 Prozent der Erststimmen. Deshalb verzichtet Merz gar auf eine Absicherung auf der NRW-Landesliste der CDU. Auf Merzens Internetseite heißt es: „Er kennt die Dörfer im Sauerland, und die Menschen dort kennen ihren Abgeordneten.“ Merz ist in achter Generation in Brilon im Sauerland geboren und aufgewachsen. Schon Merz‘ Großvater war Briloner Bürgermeister. Zwischen 1917 und 1937. Merz bezeichnete den Opa einmal als „beeindruckende Persönlichkeit“ und „erfolgreichen Bürgermeister“. Achja, zu Hitlers Zeiten war der Großvater Mitglied von NSDAP und SA (taz berichtete).Wer will den Wahlkreis?SPD-Gegenkandidatin Dagmar Schmidt, Fotografin und Kunstlehrerin aus Meschede, tritt gegen Merz an. Merz ist groß. Schmidt eher klein – sogar noch einen Kopf kürzer als Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die tapfere, kleine Frau Schmidt hat den Wahlkreis seit 1994 drei Mal gegen Merz verloren. Zuletzt erreichte sie 2002 rund 37 Prozent der Erststimmen. Drei Mal ist sie trotzdem über die Landesliste in den Bundestag eingezogen. Auch im Herbst hat die Außenpolitikerin beste Chancen: sie steht auf Platz 6 der SPD-Landesreserveliste. Für die Grünen kandidiert der 44-jährige Forstwirt Matthias Schulte-Huermann. Besonders optimistisch hört sich der Öko nicht an: „Die 7-jährige Regierungsbeteiligung ist als Erfahrung für die Oppositionsrolle einer Partei, die sich zurückbesinnt auf ihre Wurzeln, förderlich.“Der große Außenseiter?Franz Müntefering (65) aus Sundern. Der SPD-Parteivorsitzende gehört zum Sauerland wie Potthucke mit Schwarzbrot und Pils. Doch „Münte“ verzichtet auf eine Kandidatur im Wahlkreis. Auf Platz 1 der NRW-Landesliste positioniert, wird der Mann mit den kurzen Sätzen auf jeden Fall dem nächsten Bundestag angehören. Die taz-Prognose?Merz holt im Sauerland ein Ergebnis bayerischen Ausmaßes: 60 Prozent plus X. In ein mögliches Kabinett Merkel darf der Hinterbänkler trotzdem nicht.

MARTIN TEIGELER