die woche in berlin
: die woche in berlin

Eine Woche, in der viele verlieren: eine Politikerin die Gunst der SPD-Genoss*innen im Rennen um ein Bundestagsmandat; Theater, Kinos, Restaurants, Museen, Fitnesstudios, Hotels für geraume Zeit ihre Besucher*innen und Gäste. Aber was sind das für Härten gegen die Hilflosigkeit, mit der die Obdachlosen der Stadt der Pandemie gegenüberstehen?

Zeit für ein allgemeines Aufhorchen

Beim zweiten Lockdown hat der Senat einiges richtig gemacht

Jetzt ist er da, der zweite Lockdown. Wobei ja schon der erste Lockdown kein Lockdown war: Im Gegensatz zu anderen, schwerer von der Pandemie betroffenen Staaten konnte man sich in Deutschland und Berlin weitgehend frei bewegen – und sei es auf der Suche nach ein paar Sonnenstrahlen im Park. Ab kommenden Montag, im vierwöchigen Lockdown light, bleiben nicht nur Schulen und Kitas, sondern auch die Geschäfte geöffnet, ganz so dramatisch wie im Frühjahr wird es sich also nicht anfühlen.

Für Restaurants, Cafés und Bars, für Kinos und Theater, für Fitness- oder Kosmetikstudios ist die zweite Schließungswelle natürlich trotzdem eine massive Härte. Bleibt zu hoffen, dass die meisten durch die vom Bund für den Umsatzausfall versprochenen Ausgleichszahlungen noch einmal darüber hinwegkommen. Und wie schon im Frühjahr können alle, denen am Erhalt ihres Lieblingsdienstleisters gelegen ist, diesen beispielsweise durch den Kauf von Gutscheinen unterstützen. Da ist Kreativität gefragt.

Erfreulich ist, dass der Senat den Hilferuf der öffentlichen Kultureinrichtungen erhört und allen den Weiterbetrieb ermöglicht hat, die auf ein To-go-Angebot herunterschalten können (wie die Büchereien) oder sich an Kinder und Jugendliche richten (im Fall von Musikschulen und Sportvereinen). Insgesamt bleibt ein Makel der neuen Maßnahmen, dass ihre Notwendigkeit beziehungsweise Wirksamkeit nicht in jedem Fall eindeutig ist.

Wer in den vergangenen Monaten einmal Essen gegangen ist, hat vielleicht in Lokalen gespeist, die großen Wert auf Abstand und Lüftung gelegt haben, oder aber in solchen, wo das eher lax gehandhabt wurde. Eigentlich würde es reichen, diejenigen zu bestrafen, die auf die Regeln pfeifen. Das aber können Senat und Bezirke ganz offensichtlich personell und organisatorisch nicht leisten. Insofern ergibt eine pauschale Maßnahme durchaus Sinn. Und vielleicht erzeugt sie mal wieder ein allgemeines Aufhorchen, gerade auch bei den Gruppen, die sich den Sommer über in Parks und anderswo ihre eigenen Ballungs- und Risikogebiete geschaffen haben.

Noch etwas ist positiv zu bewerten: Am Sonntag wird das Abgeordnetenhaus zu seiner ersten Sondersitzung seit Jahren zusammentreten. Zwar kann es in Sachen Coronamaßnahmen nicht mitbestimmen – und besser wäre sicherlich gewesen, das Parlament hätte vor Verabschiedung der jüngsten Verordnung über deren Sinn debattiert. Aber es ist richtig und wichtig, dass die VertreterInnen der Gesellschaft stärker gehört werden. Immerhin kommen selbst aus den Reihen der Koalition immer häufiger kritische Stimmen und Alternativvorschläge, wie mit der gemeinsamen Herausforderung „Corona“ am sinnvollsten umzugehen ist.

Claudius Prößer

Den Altruismus nahm man ihr nicht ab

Sawsan Chebli hat gegen ihren Chef Michael Müller verloren

Am Ende war es ein Achtungserfolg in der Niederlage: 40 Prozent der SPD-GenossInnen im Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf stimmten am Mittwochabend für Sawsan Chebli, die Staatssekretärin in der Senatskanzlei, als ihre Direktkandidatin für die nächste Bundestagswahl. Rund 60 Prozent stimmten für den amtierenden Regierenden Bürgermeister Michael Müller.

Chebli ist gegen ihren eigenen Chef angetreten. Das macht man nicht, schallte es ihr schnell entgegen, nachdem sie im August ihre Kandidatur bekannt gegeben hatte. Klar macht man das, wenn es doch einem größeren Ganzen dient, konterte Chebli klug, und fand dafür öffentlich auch viel Zuspruch. Was sie mit dem großen Ganzen gemeint hat: Die Partei profitiere davon, dass sich jemand gegen Postendeals in Hinterzimmerrunden stellt (Müller war nach Charlottenburg-Wilmersdorf ausgewichen, weil Juso-Chef Kevin Kühnert Tempelhof beansprucht). Da ist eine, die mal frischen Wind reinbringt, sollte das Signal sein. Eine, die aus Prinzip etwas übrig hat für demokratische Prozesse, und aus Prinzip etwas gegen diese Klüngelei hat, die das WählerInnenvolk doch so zuverlässig in die Politikverdrossenheit treibt.

Und überhaupt, die Kandidatin selbst: Eine noch relativ junge Frau mit Fluchtgeschichte und Migrationshintergrund – Cheblis Familie kommt aus Palästina – gegen einen vergleichsweise alten weißen Mann, wer kann da noch was sagen? Zumal es der Kandidatin ja auch scheinbar nicht um sie selbst ging, sondern um ein höheres Ziel, die Partei, die Demokratie.

Aber es ging dann eben doch nur scheinbar um diese Dinge. Chebli hat sich selbst und ihre Aufsteigerbiografie zum Mittelpunkt ihrer Kampagne gemacht. Es ging um sie. Das ist nicht verwerflich, den meisten geht es um die eigene Karriere – aber die GenossInnen haben ihr die altruistische Motivlage dann eben auch nicht so ganz abgenommen. Und, lässt man mal die menschliche Seite außen vor, vielleicht auch ganz nüchtern gedacht, dass Müller doch der versiertere, erfahrenere Fachpolitiker für Berlin im Bundestag sein könnte.

Chebli hat also verloren. Und dennoch war ihre Kandidatur auch ein Gewinn. Es war tatsächlich ein gutes Signal, dass da jemand aufsteht und sich weder um Konventionen noch um Männerbünde schert. Immerhin 40 Prozent ihrer ParteifreundInnen sehen das auch so. Hätte man Chebli abstrafen wollen, hätte das Ergebnis anders ausgesehen. Insofern: Sawsan Chebli hat alles richtig gemacht. Wenn auch vielleicht aus den falschen Gründen. Anna Klöpper

Es war ein gutes Signal, dass da jemand aufsteht und sich weder um Konventionen noch um Männerbünde schert

Anna Klöpper über die Wahl zwischen Sawsan Chebli und Michael Müller

Das Gegenteil von Menschlichkeit

Nur für kurze Zeit besetzten Obdachlose in Mitte ein Haus

Am Donnerstagnachmittag besetzte eine Gruppe obdach- und wohnungsloser Menschen ein seit Jahren größtenteils leerstehendes Haus in der Habersaathstraße in Berlin-Mitte. Trotz stundenlanger Verhandlungen mit dem Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) wurde das Haus am Abend von der Polizei geräumt und die Besetzer*innen wurden zurück auf die Straße geschickt.

Die Aktion steht stellvertretend für vieles, was falsch läuft in Berlin. Da ist zunächst das Haus, welches 2006 im Zuge des neoliberalen Ausverkaufs der Stadt von dem damaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin für nur 2 Millionen Euro verkauft worden ist. Ohne viel investiert zu haben, verkaufte der Besitzer das Haus 2017 für den zehnfachen Preis weiter. Da sich mit Neubau viel mehr Geld machen lässt, hätte der neue Investor den schmucklosen DDR-Plattenbau am liebsten abreißen lassen, wären da nicht noch ein paar lästige Mieter, die einfach nicht ausziehen wollen. Seitdem lässt der Besitzer das Haus verwahrlosen und schikaniert die verbliebenen Bewohner*innen.

Dann die Besetzer*innen, die mit der Aktion nicht nur ein Zeichen setzen, sondern tatsächlich hofften, für den Winter eine würdevolle Bleibe finden zu können. Die zweite Welle und der neue Lockdown wird die Obdachlosen dieser Stadt am härtesten treffen. Im Gegensatz zur ersten Welle wird die Situation durch den herannahenden Winter noch verschlimmert. Sozialarbeiter*innen warnen schon lange, dass das Konzept der Kältehilfe in der Pandemie nicht funktioniert: Die Menschen brauchen einen Ort, an dem sie sich auch tagsüber aufhalten können, ohne Gefahr zu laufen, sich anzustecken.

Gleichzeitig stehen Hunderte Gebäude leer in Berlin. Das Gebot der Stunde wäre also, schnell und unbürokratisch den Menschen eine Bleibe zu verschaffen – zumindest für den Zeitraum der Pandemie.

Dazu bräuchte es eine mutige Politik, für die Menschlichkeit höher wiegt als die bedingungslose Verteidigung des Eigentumsrechts. Leider wurde hier mal wieder bewiesen, dass in Berlin das Gegenteil der Fall ist. Rechtlich gibt es sogar die Möglichkeit, Wohnraum für die Unterbringung von Obdachlosen zu beschlagnahmen. Die Besetzer*innen erreichten eine Zusage des Bezirks, diese Möglichkeit zu prüfen. Doch von Dassel kündigte bereits auf Twitter an, dass der Prozess „zäh“ sei und nur Menschen Anspruch hätten, die sich beim Sozialamt in Mitte obdachlos gemeldet hätten.

Auch die brutale Räumung am Abend war unnötig. Entgegen der Absprache mit dem Bezirksbürgermeister setzte die Polizei die „Berliner Linie“ durch, nach der Besetzungen nach spätestens 24 Stunden geräumt werden müssen. Für Innensenator Geisel (SPD) wäre es ein Leichtes gewesen, die aus den achtziger Jahren stammende Direktive auszusetzen und den Besetzer*innen ein paar Nächte im Warmen zu ermöglichen, bis die rechtlichen Verhältnisse geklärt sind.

Was bleibt ist die Enttäuschung über einen Politikbetrieb Berlins, der es entgegen seinen Lippenbekenntnissen nicht schafft, das „Recht auf Stadt“ der Be­­wohner*innen durchzusetzen.

Jonas Wahmkow