„Horror-Vorstellung“ Ausgrenzung

Nach dem Willen von Bildungssenator Willi Lemke (SPD) sollen künftig verhaltensauffällige Schüler in Sondergruppen an wenigen Schulen unterrichtet werden. „Mit dem derzeitigen Personal nicht zu machen“, sagen Lehrer in einem Modellversuch

bremen taz ■ Zu Anfang war Katrin Servet geschockt. Kinder, die mit dem Kopf vor die Wand liefen oder dauernd schreiend durch die Grundschule rannten. „Die waren nicht in eine Klasse zu integrieren, da mussten wir was anderes versuchen“, sagt die Sonderschullehrerin. Sie fand gemeinsam mit dem Leiter des Förderzentrums an der Fritz-Gansberg-Straße, Georg Schweppe, eine „Notlösung“, wie es der Rektor nennt. Weil im Förderzentrum kein Platz für vier verhaltensauffällige Kinder war, gründeten die beiden Pädagogen eine Gruppe, die in einer Grundschule in Hemelingen eine Heimat fand. Hier werden zwei Jungen und zwei Mädchen von Katrin Servet und einer weiteren Sonderpädagogin seit eineinhalb Jahren betreut und gezielt gefördert. Mittlerweile geht ein Junge wieder in den regulären Sportunterricht, alle verhaltensauffälligen Kinder besuchen dreimal in der Woche den Unterricht der zweiten Klassen – begleitet von ihren Sonderschullehrern.

Dieses Modell soll Schule machen, wenn der Plan von Bildungssenator Willi Lemke (SPD) in die Tat umgesetzt wird. Demnach wird es mehrere Sondergruppen geben, die an verschiedenen Schulen angesiedelt werden. Dort soll jeweils ein Sonderschullehrer sechs verhaltensauffällige Kinder betreuen. „Das ist unmöglich“, meint Schulleiter Schweppe, und seine Kollegin nickt energisch. „Wenn ein Kind Mist baut, muss ich mich darum kümmern. Dann vernachlässige ich die anderen, die natürlich nicht ruhig auf ihren Stühlen sitzen bleiben“, sagt die Lehrerin. „Die Schüler müssen in der Schule integriert sein.“

Doppelbetreuung der Problem-Kinder ist im Konzept der Behörde nicht vorgesehen. „Das ist denen zu teuer“, sagt Georg Schweppe, der unter den Umstrukturierungen leidet. Denn die Beratungsstelle an seiner Schule soll zusammengestrichen werden. Das Personal soll die Betreuung der Kinder in Sondergruppen übernehmen. „Dabei ist die Beratungsstelle die einzige Einrichtung, die präventiv arbeitet“, so Schweppe. Wenn ein Lehrer im Förderzentrum anrufe und ein Kind dort „abliefern“ wolle, werde das so erstmal nicht akzeptiert. Innerhalb von einer Woche käme ein Psychologe in die Schule und prüfe, was man verändern könne. Auch Katrin Servet bekommt diese Hilfe. Im weiteren Verlauf versuchen dann Sonder- und Sozialpädagogen, nach Lösungen für Probleme zu suchen. „Lehrer im Stress haben dazu einfach keine Zeit“, meint Schweppe. Er ist überzeugt, dass dadurch die meisten Konflikte gelöst werden. „Nicht alle Kinder die auf den ersten Blick verhaltensauffällig wirken, sind es auch“, sagt der Schulleiter. Im Zeichen von Pisa und gestrichenen Lehrerstunden strebten aber einige Kollegen und Eltern danach, schwierige Kinder abzugeben. „Die müssen hier im Förderzentrum eingeschult werden – in Klassen die wir nicht wollen“, so Schweppe.

Wenn die Beratungsstelle für Lehrer schließen muss, werde die Zahl der verhaltensauffälligen Kinder steigen, vermutet der Rektor. Er versucht trotzdem, Sondergruppen zu bilden, die nach dem Sommer den Modellversuch von Katrin Servet übernehmen.

„Wir brauchen nicht zwei volle Stellen für eine Gruppe, aber eine Doppelbesetzung. Und die Gruppe darf nicht mehr als vier Kinder haben.“ Einige Schulen, die die Gruppen aufnehmen sollen, hat Schweppe schon gefunden. Die Kinder dürften nicht ausgegrenzt werden, weder aus Stadtteilen noch aus dem Schulbetrieb. Lieber wären dem Schulleiter Klassen, in denen die verhaltensauffälligen Kinder integriert und gezielt von Sonderpädagogen betreut würden. Doch das gelte als zu teuer. Nun wähle man einen Weg, der zurück Richtung Sonderschule weise. Schweppe: „Diese Sondergruppen sind problematisch – da kann das Integrationskonzept schnell kippen. Und wenn die Kinder dann als Fremde in einer anderen Schule gelten und stigmatisiert werden – das ist meine Horrorvorstellung.“ kay müller