berliner szenen Auswechseln, bitte!

Die Grass-Grätsche

Günter Grass, gestern, in der Kurfürstenstraße. Er steht zwischen Einstein und Prostituierten und bietet sich mit einer schnellen Nummer an – einem Beitrag zur Fußballweltmeisterschaft. Günter Grass hat ein Gedicht über den Volkssport Nummer eins verfasst. Weiße Schrift auf grünem Grund hat er auf eine große Werbeplakatwand geköpft. Ein literarischer Spielzug aus der Tiefe des politischen Raums.

Gegen seine alten Spielkollegen von der Es-Pe-De hat Grass in den letzten Wochen ordentlich vom Leder gezogen. Er will sich nicht länger als Wahlhelfer verdingen. Deshalb hat er, kurz vorm großen Endspiel, schnell noch mal die Sportart gewechselt. Vom Kanzler-Gerd zum Gerd Mayer-Vorfelder. Da sind die Chancen größer. In der Abwehr gibt es noch einige Lücken, aber die Taktik überzeugt.

Günter Grass, den ich bisher nicht als passionierten Dauerkarteninhaber in Erinnerung hatte – hat er je neben Otto Schily gesessen, wenn Hertha verlor? –, tut auf dem Plakat sein Fußballwissen kund: „Der Ball ist rund. / Meiner hat eine Delle. Von Jugend an drücke / und drücke ich; aber / er will nur einerseits rund sein.“ Das ist nicht die Champions League. Es geht einmal mehr um Spielszenen aus dem beschädigten Leben.

Ich fahre nach Hause. Im Fahrradkeller muss noch eine alte Ballpumpe sein. Vielleicht schicke ich die nach Lübeck, mit besten Grüßen. Nachts träume ich von einem Mann in kurzen Hosen und einem rot-weiß gestreiften Oberteil. Sein Gesicht ist fast vollständig von Schnauzbart bedeckt, nur ein Pfeifenkopf guckt noch zwischen den Haaren hervor. Der Mann steht auf einer riesigen grünen Fläche und winkt mit beiden Armen. Er will wohl ausgewechselt werden.

WIEBKE POROMBKA