Unter langen Beinen durchgetunnelt

Zum Auftakt der Modemesse Premium feierte das Label Strenesse Blue im U-Bahn-Schacht: Begleitet von Berliner Underground-Musikern, die eigentlich gar nicht mehr so underground sind, trugen die Models betuliche Klamöttchen

Wo bleibt das Neue? In sämtlichen kulturellen Bereichen fragt man sich das derzeit. Wo sind die Trends, die Visionen, die Utopien? Überall nur die Rede von der Krise – wir scheinen uns in einem endlosen Sommerloch verfangen zu haben. Doch es gibt ja noch die Modebranche, und die hätten wir fast ganz vergessen. Sie behauptet seit gestern wieder mit all ihrem hysterischen Furor, dass in Sachen Mode der Stadt Berlin eine goldene Zukunft ins Haus stehe.

Nur dass diese Zukunft just in Berlin eben immer noch nicht im Wortsinne golden aussehen darf, das wollten das Modelabel Strenesse Blue und das Berliner Musiklabel Monika Enterprises bei ihrem „Tunnelkonzert“ einen Tag vor Eröffnung der Modemesse Premium demonstrieren. Und zwar im rohgebauten U-Bahn-Schacht unter dem Potsdamer Platz, da, wo die gesamte Premium stattfindet. Ein Tunnel gibt sich für vieles her: Er ist ein topcrazy Eventort, er suggeriert frühe Technopartys, tropfende Gewölbe, Subkultur – und er steht, so heißt es im Pressetext, „an der Schwelle zu einer neuen Innenwelt“. Verheißungsvoll.

Aber warum jetzt ausgerechnet Monika Enterprises, das „Kultlabel“ von Oceanclub-Hansdämpfin Gudrun Gut, in konzertierter Aktion zusammen mit Strenesse Blue? Wegen des klasse Synergieeffekts natürlich – gehe es doch beiden, so erfährt man, „um Haltung und Zeitgeist, um Leben und Gefühl“. Ganz so salbungsvoll war Monika doch früher noch nicht gewesen, dachte man. Aber das muss in einer Zeit gewesen sein, in der man in Berlin unter „Underground“ noch nicht das Bespielen eines Tunnels für ein Modelabel unter dem Potsdamer Platz samt Sekt-mit-Aperol-Empfang verstanden hatte.

Die ganze Veranstaltung war dann tatsächlich perfekt für Menschen, die, so hieß es, „ganz unter Freunden“ sein wollten und miteinander „ein kulturell urbanes Lebensgefühl“ zu teilen gedachten. Und wo ist man derart massenhaft teilungsbereit in Sachen Lebensgefühligkeit wie in Berlin – da kommen London und Paris einfach nicht mehr mit. Aber an was es in Berlin zu partizipieren gilt, das merkte man zum Zeitpunkt des Model-Auftritts: Strenesse Blue präsentierte alles andere als aberwitzige Damenmode an den Körpern unnahbarer Starmodelle, nämlich eine wenig aufregende Frühjahrskollektion der Sorte „melancholisch entrückte Jungfrau an spätsommerlichem Mecklenburger-Seenplatte-See“. Die mit blumengemusterten Lolita-Kleidchen, leinenen Marlene-Dietrich-Hosen und bunt bedruckten Spaghettiträger-Shirts behangenen Mädchen marschierten eher beiläufig durch das kahle U-Bahn-Tunnel-Gemäuer – immer brav im Ringelreihen rundherum um die mittig und herrensignifikant aufgebaute Musikerbühne. Die Sicherheit eines Laufstegs war den braven menschlichen Kleiderständern, die sich nur schüchtern zu hin- und widrigen lasziven Posen hinreißen ließen, nicht gegönnt. Weswegen, wer mal auf die Toilette musste, Gefahr lief, mit einem der Mädchen zu kollidieren.

Dazu boten die Monika-Künstler Robert Lippok, Barbara Morgenstern und Chica and the Folder ihre „Kultur der Aufrichtigkeit und Authentizität“, sprich: ihren gut eingeführten und allseits beliebten Elektronikpop, der niemandem weh tut und außer zu gefallen nichts weiter will. Irgendwie und unerwartet kam da dann doch zusammen, was zusammengehörte.

Als man den Tunnel durch eine textile Leuchtröhre wieder verließ, erwischte einen das wirkliche „urbane Lebensgefühl“ hart: prasselnder Regen, der trostlose Potsdamer Platz, die üblichen schlecht angezogenen Berliner mit schlechter Laune. Zum Glück hatte man die Schwelle zu einer neuen Innenwelt nicht überschritten.

ANDREAS HARTMANN
KIRSTEN RIESSELMANN