Diagnose: „nicht ausbildungsfähig“

Unternehmen, Verbände und Fachleute beklagen, dass Jugendliche nicht die Fähigkeiten für eine Lehrstelle mitbringen

VON ULRICH SCHULTE

„Seer geerter Herr, ich will gerne an koolen Autos schrauben …“ Nein, dies ist kein Original-Auszug aus einer Bewerbung um eine Lehrstelle als Kfz-Mechaniker. Und dass der fiktive Bewerber als „nicht ausbildungsfähig“ gelten würde, steht dahin. Schließlich bekundet er offensiv seinen Arbeitswillen. Kurz vor Beginn des Ausbildungsjahres hört man von Unternehmen, Verbänden und Politikern gehäuft die Klage, in Berlin seien immer mehr Jugendliche ebendies: „nicht ausbildungsfähig“. Die Bürokratenfloskel verweist auf ein komplexes Problem.

Fakt ist: Viele Berliner Firmen melden Schwierigkeiten, qualifizierte Kandidaten für ihre Lehrstellen zu finden. „Die Bewerber haben gravierende Mängel beim Lesen, Rechnen und Schreiben. Aber auch Sozialverhalten und Motivation lassen zu wünschen übrig“, sagt Eric Schweitzer, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK). Knapp ein Viertel der unter 15-Jährigen gehört laut Pisa-Studie zur Risikogruppe mit erheblichen Defiziten in Mathe, Deutsch oder Naturwissenschaften. Auch Hartmut Hartmann, der in der Bildungsverwaltung das Referat „Berufsbildende Schulen“ leitet, diagnostiziert: „Das Problem der Drop-outs darf man nicht verniedlichen.“ In Berlin verließen 12 Prozent der HauptschülerInnen ihre Lehranstalt ohne jeden Abschluss.

Die frühzeitige Selbstaufgabe sei ja auch kein Wunder, klagt ein Hauptschullehrer. Schließlich träten die meisten ihre Hauptschulkarriere mit der Aussicht an, später arbeitslos zu werden. Das System, das die Jugendlichen als „nicht ausbildungsfähig“ stempelt, vermittelt ihnen gleichzeitig, dass sie unnütz sind. Zudem steigen die Anforderungen der Arbeitswelt: Hilfsarbeiter werden nicht mehr gebraucht, der Elektroinstallateur heißt Elektroniker, der eingangs erwähnte Kfz-Mechaniker „Mechatroniker“. Dass die Anforderungen härter werden, kommt durchaus in den Schulen an: „Die Abwesenheitsquote in unseren berufsqualifizierenden Lehrgängen ist in den vergangenen Jahren gesunken“, sagt Hartmann.

Die Arbeitsagenturen sortieren die Schulabgänger, wenn sie sich melden, in die Kategorien A, B, C oder D. A bedeutet „ohne Abstriche vermittelbar“, B „mit Einschränkungen vermittelbar“. Die Gruppe C muss sozusagen schon nachsitzen. Zum Teil landen hier aber auch einfach Leute, die wegen des überlaufenen Marktes (Bericht unten) keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Die Jugendlichen haben das Recht auf einen berufsqualifizierenden Lehrgang oder die einjährige Zusatzausbildung an der Berufsfachschule. Das Angebot ist breit gefächert. Im Bereich Agrarwissenschaft gibt es zum Beispiel Gärtner- oder Floristen-, in der Hauswirtschaft Koch- oder Konditorenausbildungen.

Die Gruppe D schließlich versammelt Jugendliche, die als nicht vermittelbar gelten – und oft selbst kein Interesse an einer Arbeitsstelle haben. Bundesweit gebe es rund 250.000 Langzeitarbeitslose unter 25 Jahren, die nie eine Berufsschule von innen gesehen haben, sagt Hartmann – sichere Fälle für die Stütze.

Die Berliner IHK hat im Dezember 2004 rund 4.500 Jugendliche ohne Lehrstelle angeschrieben und zu einem Beratungsgespräch eingeladen. „Davon ist ein Drittel gekommen, die anderen haben überhaupt nicht geantwortet“, sagt Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Null Bock auf Arbeit, so die Diagnose der IHK, ein weiteres Hilfsangebot gibt es nicht.

Weil Jahr für Jahr junge Menschen beim Lehrstellenkampf leer ausgehen, schiebt das System eine Bugwelle mit „Altfällen“ vor sich her, die zum Teil in Fortbildungsmaßnahmen „geparkt“ wurden. 60 Prozent der jeweils aktuellen Bewerbungen seien Altnachfragen, sagt Bildungsfachmann Hartmann. Und die Versuchung, die Eigeninitiative aufzugeben, wird stärker. „In meinen Sprechstunden beklagen sich oft Eltern und Jugendliche. Die haben früher Fehler gemacht, strengen sich jetzt aber an – und haben keine Chance.“