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: „Verflucht“

Schon die ersten Minuten von Wes Cravens „Verflucht“ strahlen diese Könner-Kühle aus. Sie feiern jene Ordnung, bei der alles an Ort und Stelle ist, bevor munter drauflos gewirbelt werden kann. Uns als Publikum wird bedeutet, in unserer Genre-Erwartung aufmerksam Platz zu nehmen und innerlich das Lexikon des Horrorfilms zu zücken. Tempo ist entscheidend, immerhin haben wir es hier – wir sind doch hoffentlich unter uns?! – diesseits und jenseits der Leinwand mit Profis zu tun.

Darum ist es auch gleich Nacht in Los Angeles: Zwei Freundinnen – sie sind bestimmt Models – reichen auf einem Rummelplatz einer Wahrsagerin ihre gepflegten Hände. „Ich sehe Blut!“ und „Fürchtet den Mond!“ raunt die Expertin. Abgang der Models, während die Kamera mit all der Kälte eines Unterhaltungsvertrags zwischen Profis den Vollmond einfängt. Der ist mit „Directed by Wes Craven“ signiert. Ein paar Minuten später wird eine der beiden Frauen von einem gewaltigen Werwolf angegriffen und buchstäblich als „Dame ohne Unterleib“ ins Gras beißen – echte Connaisseurs quittieren gefälligst kopfnickend den Rückverweis auf den Rummelplatz.

Jede Sekunde dieses Anfangs von „Verflucht“ ist von einer Berechnung, die in ihrer beschwörenden Offenheit der Pressenotiz zum Film, „Die Kultfiguren des Horrorfilms sind zurück – und die Fangemeinde jubelt!“, in nichts nachsteht. Szene um Szene formiert sich eine autoritäre Geste, die das Comeback von Wes Craven und von Drehbuchautor Kevin Williamson, der Macher der „Scream“-Trilogie, für wichtiger erklärt als eine Hinwendung zum Topos des Werwolfs und seiner Zeichengeschichte. Das scheinbar so ehrliche Spiel um Genre-Erwartungen und deren (variierte) Erfüllung wird hier desto verlogener, je mehr es auch um die Verbindungen zwischen Werwolf-Fluch, Pubertät und Gender-Politik gehen soll. Christina Ricci als toughe Fernsehfrau Ellie und ihr adoleszenter Bruder Jimmy (Jesse Eisenberg) müssen jedenfalls als vom Werwolf infizierte Vollwaisen permanent über das sprechen, was „Verflucht“ nicht zeigen kann: „Auf uns allen lastet ein Fluch – er heißt Leben!“

Man könnte den Fluch dieses Films darin sehen, dass sich das Post-„Scream“-Horror-Genre seit Ende der 1990er nun mal in eine neue Richtung bewegt hat, in der so genannter „kluger“ Horror nicht länger mit Selbstironie oder ostentativen Querverweisen kurzgeschlossen ist. Daraus erst wächst die Tragik dieses Films: Gerade weil „Verflucht“ sich dieser Veränderung bewusst ist, ringt er, gefangen in seiner alten Strategie, mit einer behaupteten Ernsthaftigkeit, die im Gestus der Autorität verzweifelt wirken muss. JAN DISTELMEYER

„Verflucht“, Regie: Wes Craven. Mit Christina Ricci, Jesse Eisenberg u. a., USA 2003, 97 Min.