Chile reformiert Pinochets Verfassung

Eineinhalb Jahrzehnte nach Ende der Diktatur streicht das Parlament die gröbsten Ungerechtigkeiten – einige bleiben

BERLIN taz ■ Fünfzehn Jahre nach dem Ende der Pinochet-Diktatur in Chile soll jetzt endlich auch die Verfassung der Diktatur der Vergangenheit angehören. In der vergangenen Woche verabschiedete der chilenische Senat eine Verfassungsreform. Damit sei der lange Prozess der Rückkehr zur Demokratie nun endgültig abgeschlossen, verkündete Präsident Ricardo Lagos. Besondere Freude drückte Lagos darüber aus, dass die zentralen Reformpunkte vom Senat einstimmig beschlossen wurden. In den vergangenen 15 Jahren waren die Änderungen des Grundgesetzes stets am Widerstand der Rechten gescheitert. Am 16. August soll das Parlament die neue Verfassung ratifizieren.

Zu den wichtigsten Modifikationen zählt die Abschaffung der designierten und auf Lebenszeit verliehenen Sitze im Senat, mit denen die Pinochet-Verfassung seinen Anhängern auch nach dem Ende der Diktatur eine Sperrminorität gesichert hatte. So hatten früher etwa Expräsidenten oder ehemalige Militärkommandanten nach der Niederlegung ihres Amtes ein Anrecht auf Senatorensitze. Des weiteren drängt die reformierte Verfassung den Einfluss des Militärs auf die Politik zurück und gibt stattdessen dem Präsidenten die Möglichkeit wieder, die Oberbefehlshaber der Streitkräfte durch ein begründetes Dekret ihres Amtes zu entheben. Zudem wird der Nationale Sicherheitsrat, der den Erhalt der diktatorischen Verfassung stets befördert hatte, von einem entscheidenden in ein beratendes Organ umgewandelt.

So werden einige wesentliche autoritäre Maßnahmen der Verfassung von 1980, die Pinochet sieben Jahre nach dem Militärputsch durchsetzte, um seine Macht zu konsolidieren, eliminiert. Einig ist man sich im linksdemokratischen Regierungsbündnis allerdings auch, dass diesen Reformen nun auch noch eine Erneuerung des Wahlsystems folgen müsse. So stellte etwa Tomás Hirsch, der Präsidentschaftskandidat der außerparlamentarischen Linken, fest, es könne von einem Ende der Transition ohne die Abschaffung des undemokratischen binominalen Wahlsystems keine Rede sein. Hierbei werden pro Wahlbezirk zwei Sitze in der Abgeordnetenkammer vergeben, der erste an die Partei oder das Wahlbündnis mit der größten Mehrheit, der zweite an die mit der zweitgrößten Mehrheit. Erreicht ein Wahlbündnis mehr als 65 Prozent der Stimmen, erhält es sogar beide Sitze. Durch diese Vorgehensweise werden kleinere Parteien vollständig diskriminiert, da sie bei Wahlergebnissen von unter 35 Prozent keine Chance auf eine Vertretung im Parlament haben. Dies führte zur faktischen Reduzierung der politischen Landschaft auf zwei große Wahlbündnisse, die linke Concertación por la Democracia, der auch Präsident Lagos angehört, und die rechte Alianza por Chile. Zudem ist die jeweilige Opposition im Grunde überrepräsentiert, da sie mit weniger als 50 Prozent der Wählerstimmen die Hälfte der zu vergebenden Sitze erreichen kann.

Auch Isidoro Bustos, ehemals Planungsdirektor im chilenischen Justizministerium, bevor er nach dem Militärputsch verhaftet wurde und schließlich ins Exil nach Deutschland ging, ist der Meinung, dass die Demokratisierung der Pinochet-Verfassung nur eingeschränkte Folgen hat. Das ungerechte Wirtschaftsmodell, ebenfalls ein Relikt der Diktatur, besteht fort, es herrscht eine extreme Einkommenskonzentration. Die großen Wirtschaftsgruppen kontrollieren nicht nur den Großteil der ökonomischen Aktivitäten, sondern üben auch in Privatuniversitäten und Medien ihren Einfluss aus. „Es existiert keine pluralistische Presselandschaft“, so Bustos, „die Presse liegt in den Händen zweier Großkonzerne.“ So bleibt, sagt Bustos, nach der Abschaffung der „unerträglichen Elemente“ der Verfassung noch in zahlreichen Bereichen Handlungsbedarf. FRANZISKA BUCH