Besucher als wandelnde Datenbänke

Die Tickets für die Fußball-WM sind mit umstrittenen Chips ausgestattet. Daten können unbemerkt abgefragt werden

BERLIN taz ■ Es ist superflach und passt auf jede Kreditkarte, in einen Kleidersaum oder eben auf ein WM-Ticket: das Funketikett, das aus einem einen Quadratmillimeter großen Chip und einer Antenne besteht. Wer dieses Radio Frequency Identification System (RFID) bei sich trägt, dessen Chipdaten können unbemerkt ausspioniert werden. 2006 wird diese Technologie erstmals großflächig auf allen WM-Tickets eingesetzt.

Jeder Stadionbesucher kann so identifiziert werden: Am Eingang gleicht ein Lesegerät die Ticketnummer mit einer Datenbank ab. Das soll die Sicherheit in den Stadien erhöhen. Kritische Fußballfans und Datenschützer vermuten jedoch: Dabei steht nicht die Sicherheit im Mittelpunkt. „Gewinner sind die beteiligten Unternehmen. Sie verkaufen ihre Technologie und bauen ihre Infrastruktur aus“, meint Matthias Bettag vom Bund Aktiver Fußballfans. Auch die Sponsoren profitierten von der neuen Technik, die personalisierte Kundenprofile ermögliche, sagt Bettag.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) warb vor WM-Investoren: Hier könne „Technologie anwendungsbereit und mit konkretem Gebrauchswert der Weltöffentlichkeit“ präsentiert werden. Vorläufig rentieren sich RFID-Chips nur bei den WM-Tickets, weil jede Karte eindeutig einem Käufer zugeordnet und der Schwarzmarkt eingedämmt werden kann. Für die massenhafte Anwendung in anderen Bereichen sind die Etiketten mit 20 bis 30 Cent pro Stück noch zu teuer.

Viele Unternehmen stehen jedoch bereits in den Startlöchern, um die Technik einzusetzen, wenn die Preise fallen. Die Deutsche Telekom schätzt den weltweiten Markt für diese Systeme auf zweistellige Milliardenbeträge. Funketiketten mit einer Reichweite bis zu 100 Metern können beispielsweise die Logistik im Einzelhandel wesentlich vereinfachen. Von der Produktion bis ins Regal wird erfasst, wo sich die einzelnen Artikel befinden.

Viele Datenschützer kritisieren aber, dass die Funketiketten für die Verbraucher nicht eindeutig zu erkennen sind, zum Beispiel wenn sie im Saum eines Kleidungsstücks eingenäht sind. Damit können unbemerkt Daten über die Kunden gesammelt und auch über größere Entfernungen ausgewertet werden. Wenn die Waren elektronisch bezahlt wurden, ist auch eine persönliche Identifizierung möglich. Der Weg zum gläsernen Kunden ist nur noch kurz.

Ein Modellbetrieb ist der Future Store in Rheinberg bei Duisburg, der von der Metro-Gruppe betrieben wird. Hier wird die Anwendung der RFID-Technologie im Praxistest erprobt. Zufällig stellte Katherine Albrecht vom Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V. fest, dass dort nicht nur die Waren, sondern auch die Kundenkarte mit einem RFID-Chip ausgestattet sind. So wird das Kaufverhalten des Einzelnen nachvollziehbar.

RFID hat jedenfalls Zukunft: Auf eine kleine FDP-Anfrage hin bestätigte Bundesinnenminister Schily, dass die Technologie auch nach der WM 2006 in den Stadien genutzt werden soll.

KATHRIN BUCHHOLZ