Mit der Faust und mit den Fingern

AUF BEUTEZUG Mit Gewehr und mit Palette, so ging Karl Hagemeister, ein Maler aus Ferch, in den Wald. Das Bröhan-Museum zeigt nun die berückend schönen Waldbilder des fast vergessenen Künstlers

Hagemeister zieht den Blick dicht über die Wasseroberfläche, überall begrenzt Schilf die Sicht

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Ein erfolgreicher Entwurf für eine Künstleridentität der Gegenwart wäre womöglich, gärtnern und malen miteinander zu verbinden: Man stelle sich etwa Tomaten, Zucchini, Erdbeeren und Kürbisse vor, von ihrem Erzeuger nicht nur unter den Bedingungen des urban gardening großgezogen, sondern zugleich in Skizzen und Ölbildern mit einem Protokoll ihres Wachstums versehen, von den Pflanztrögen über die reife Pflanze bis zu den Küchenstillleben kurz vor dem Verzehr. Porträts in Kunst- und Lifestyle-Magazinen wären dem solchermaßen Tätigen ebenso sicher wie die Koproduktion einer Ausstellung mit der Gastrobranche. Eine Ansprache für alle Sinne, was für eine Einheit von Kunst und Leben.

Karl Hagemeister ist einem solchen Entwurf einmal ziemlich nahegekommen, allerdings zu einer Zeit, als solche Strategien noch keine bewusste Rolle spielten. „Da ich ein Jäger war“, notierte er Ende des 19. Jahrhunderts, „malte ich viel Wild, immer naturgroß, so wie ich es nach dem Schuss gefunden habe.“ Das Zitat steht auf einer dunkelgrünen Wand neben seinem Bild „Erlegtes Reh im Schnee“ (von 1885) im Bröhan-Museum; nicht als Trophäe und nicht als Allegorie hat Hagemeister das tote Tier gemalt, sondern als geeignetes Studienobjekt und Teil seines Alltags. Man fühlt mit den Augen die Temperaturunterschiede zwischen dem Schnee und dem gefallenen Tier, noch ist es nicht starr, noch ist es nicht kalt, aber das Fell verliert schon seinen Glanz.

Einheit Kunst und Leben

Der Maler war der Sohn eines Obst- und Weinbauern nahe von Berlin und lebte in den 80er Jahren zurückgezogen in Ferch, bestritt seinen Lebensunterhalt mit Jagen und Fischen. Der Berliner Kunstszene damals galt er als ein Sonderling.

Eine schöne Fotografie von 1898 zeigt den Maler im dicken Wintermantel mit Pelzkragen und Mütze im Schnee stehend, eine große Palette in der Hand, vor sich an einen Baum gelehnt eine übergroße Leinwand, auf der er Bäume malt. Das Foto ist alt, in der Reproduktion verschwimmen die Grenzen der Leinwand, sodass das gemalte Geäst irgendwo im realen verschwindet. „So ist meine Kunst nur Natur“ ist der Titel seiner Ausstellung, und tatsächlich dienten alle seine Kunstgriffe dazu, der Natur sehr nahezukommen. Aber wie er das erreichte, macht seine Bilder zu einem aufregenden Abschnitt im Kapitel von Naturalismus und Impressionismus.

Kriechen durchs Gebüsch

„Meist benutze ich Faust, Finger und Handballen zum Auftrag und arbeite nur die Feinheiten mit dem Pinsel nach“, beschrieb er seine Technik. In seinen Bildern von Waldteichen (1902 und 1908) sind die Blätter, die auf dem glatt gemalten Wasserspiegel treiben, zum Beispiel so pastos mit Farbe gestaltet, dass sie tatsächlich einen Körper haben. Das Wasser unter ihnen wirkt tief und geheimnisvoll, ein Himmel, der im Dickicht selbst nicht sichtbar ist, spiegelt sich darin im Übergang von blauem zu goldenem Sonnenuntergangslicht. Hagemeister zieht den Blick dicht über die Wasseroberfläche, überall begrenzt Schilf die Sicht. Und diese Nähe, dieses visuelle Kriechen durchs Gebüsch, diese Untersicht, unterscheidet seine Bilder von den Landschaften seiner Zeitgenossen, die doch mit mehr Überblick und räumlicher Orientierung arbeiten.

Karl Hagemeister, geboren 1848 in Werder, war Dorfschulmeister in Pankow gewesen, bevor er Zeichenunterricht nehmen konnte und sich auf Studienreisen nach Holland, Italien und Paris ganz der Kunst zuwenden konnte. Gustave Courbet und Edouard Manets haben ihn in Frankreich sehr interessiert, man könnte in seinen Bildern vom Meer ein Echo von Courbets Wellenbildern vermuten. Eine Zeit lang war er mit seiner Orientierung an den Franzosen in Berlin ein Außenseiter. Als aber 1898 die Berliner Secession gegründet wurde, der Max Liebermann und Walter Leistikow angehörten, fand auch Hagemeister Anerkennung. Er wurde später zum Professor (1914) berufen und Mitglied der Akademie der Künste (1923).

Dennoch gehört er heute zu den fast vergessenen Malern aus dieser Zeit der frühen Moderne – und das sicher auch, weil nie die Stadt sein Thema wurde.

Das Museum Bröhan, das eine umfangreiche Sammlung seiner Bilder besitzt, widmete ihm 1998 zu seinem 150. Geburtstag eine große Retrospektive und zeigt jetzt wieder 45 seiner Werke. Sie passen in die Sammlung des Jugendstilmuseums natürlich auch ob ihres dekorativen Charakters – wer vor ihnen steht, ist aber vor allem von der zupackenden Art der Malerei beeindruckt, ihren haptischen Qualitäten, die bei jeder Waldszene den holprigen Grund unter den Füßen spüren lassen.

■ Karl Hagemeister, Museum Bröhan, Di.–So. 10–18 Uhr, bis 7. Oktober