Die Stiefkinder des Landes

Für Unter-Dreijährige werden in NRW auch in Zukunft kaum Betreuungsplätze geschaffen. Bund, Land und Kommunen streiten sich um die Finanzierung. Die Landesregierung setzt auf Tagesmütter

VON NATALIE WIESMANN

Der Ausbau für die Betreuung der Unter-Dreijährigen droht in Nordrhein-Westfalen zu platzen. Die niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) kündigte vergangene Woche an, dass im Falle eines Wahlsiegs ihrer Partei bei der Bundestagswahl das seit Oktober 2004 geltende Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) nicht mehr als „Geschäftsgrundlage“ gelte – „weil es mit Hartz IV verbunden ist“. Derzeit würden die kommunalen Haushalte aber finanziell nicht entlastet.

Die Arbeitsmarktreform sollte den Kommunen 2,5 Milliarden Euro Entlastung bringen. Die frei werdenden Gelder, so der Plan der rot-grünen Bundesregierung, müsse in den Ausbau der Unter-Dreijährigen-Betreuung gesteckt werden.

Das wäre in Nordrhein-Westfalen bitter nötig. Schon jetzt gibt es für nicht einmal fünf Prozent der Kleinkinder ein Angebot. Der Bedarf liegt je nach Umfrage zwischen 20 und 50 Prozent. Die neue Regierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung zwar angekündigt, dass sie „gemäß der bundesgesetzlichen Vorgaben“ die Betreuungssituation zu verbessern gedenke, doch nur unter der Voraussetzung, dass sich der Bund an den Kosten beteilige.

Ob den Kommunen für den Ausbau der Unter-Dreijährigen-Betreuung Geld übrig bleibt, wird sich bei der Revision der Arbeitsmarktreform im Oktober zeigen. Volker Bästlein, Sprecher des Städtetag NRW, glaubt nicht daran. „Solange keine vollständige und eigenständige Finanzierung durch Bund und Länder gesichert ist, sehen wir uns nicht in der Lage, die Forderungen des TAG umzusetzen.“

Das Land wird sich aber, wie bisher, nur an Baumaßnahmen und Betriebskosten der Betreuungseinrichtungen beteiligen (siehe Kasten). Wie die Vorgängerregierung setzt die neue zusätzlich auf den demografischen Wandel: Denn wenn nicht mehr alle Plätze der drei- bis sechs-Jährigen genutzt werden, können diese in eine Unter-Dreijährigen-Betreuung umgewandelt werden, hofft sie. Vor diesem Hintergrund hat Ministerspräsident Jürgen Rüttgers (CDU) in seiner Regierungserklärung eine Versorgungsquote von 20 Prozent versprochen.

„Was Rüttgers da vollmundig verkündigt hat, kann er nicht erreichen, ohne eigenes Geld in die Hand zu nehmen“, sagt Andrea Asch, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Sie hält einen weiteren Ausbau der Plätze für Kleinkinder für unerlässlich. „Es ist aus anderen Ländern längst bekannt, dass ein vernünftiges Betreuungsangebot zu einer höheren Kinderquote führt.“ Kindergelderhöhungen, wie sie die CDU im Bund jetzt in Aussicht stellt, animierten niemanden zum Kinderkriegen, so Asch.

Davon ist auch Christine Weinbörner, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten, überzeugt. Um in der Kleinkinder-Betreuung ein befriedigendes Angebot zu schaffen, reiche es nicht, ein paar städtische Kindergartenplätze umzuwandeln. „Ein großer Teil der Kindergärten ist in den Händen der Kirchen, und die schließen gerade eine Einrichtung nach der anderen“, so Weinbörner.

Vorsorglich setzen CDU und FDP deshalb auf die Vermittlung von Tagesmüttern oder -vätern. Weinbörner hält dies für keine gute Alternative zur institutionellen Versorgung. „Damit will die neue Regierung vor allem Geld sparen. Tagesmütter stellen zum Beispiel ihre private Wohnung zur Verfügung.“ Außerdem fehle ein pädogisches Konzept, bemängelt die Gleichstellungsbeauftragte. Weil für Tagesmütter auch keine Kranken- oder Urlaubsvertretung vorgesehen sei, spricht Weinbörner von einem „sehr wackligen Konstrukt“.