„Ich bin ’ne Parodie auf den Direktor“

Juppy

„Was man gerne macht, weiß jeder schnell selbst. Aber man muss sich überlegen, wie das alles zusammenpasst. Das lässt letzten Endes den Staat entstehen. Mir wurde klar: Es ist meine Aufgabe herauszufinden, wie ein Staat entsteht“

Seit 26 Jahren ist Juppy mit langen Haaren und Schlapphut die inkarnierte PR-Strategie der Ufa-Fabrik in Tempelhof. Auf kaum einen anderen trifft jener Spruch so gut, den sich „Alternative“ in den 70er-Jahren gern auf ihre klapprigen VWs klebten: „Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben“. Juppy brach sein Architekturstudium ab, lebte in einer Kommune, zog mit selbst gemachtem Schmuck über die Märkte, besorgte auf illegale Weise Geld für ein Drogenprojekt, besetzte 1979 das alte Ufa-Gelände, um dort den Traum vom Leben und Arbeiten zu verwirklichen. Vor kurzem veröffent-lichte der 56-Jährige seine Biografie.

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Herr Juppy, darf ich Juppy sagen?

Juppy: Klar, das ist mein Name.

Klingt verspielt, wenig ernsthaft – steckt dahinter Programm?

Wie meinst’ denn das? Juppy, das bin ich. Wer sonst? Das Leben, das formt einen, und aus mir hat es eben Juppy gemacht.

Was steht im Pass?

Okay. Da steht Hans-Josef Becher, aber auch Juppy. Wenn mein Flugticket auf Juppy Becher ausgestellt ist und die Beamten am Zoll mich rauswinken und sagen, da stimmt was nicht, sag ich: „This is my artist name.“ Da sind die dann ganz freundlich. In Japan oder so, da guckt man mich doch komisch an. Aber wenn sie wissen, aha Künstler, dann zeigen die Leute einem alles. Ein Leben ohne Kunst und Kultur, das hab ich in der Ufa-Fabrik begriffen, wäre ohne Zivilisation. Nur Kultur kann die Welt positiv verändern.

Juppy mit Schlapphut und Zottelhaaren – was soll der Nachwelt außer diesen Markenzeichen noch bleiben?

Die ganze Arbeit hier in der Ufa-Fabrik: Das ist keine Kleinigkeit, die wir geschafft haben. Wir haben Kultur nach Tempelhof gebracht. Ich hab davor in Kreuzberg gelebt – da wusste man doch, was Tempelhof ist: „Bin doch nicht blöd und geh da hin.“ Das war nicht immer witzig, wenn du mit Politikern zu tun hast, die vor Angst und Schrecken gleich alles Neue platt schlagen. Das Einzige, was ich von damals gelernt habe: Man kann die Welt nur verändern, indem man sich die Menschen so zurechtliebt, wie man sie gerne hätte.

Zurechtlieben – also manipulieren?

Nein. Man gibt jedem das Angenehme, das er auch hat. Wenn einer Scheiße gebaut hat, kann man nicht nur sagen: „Ey alles ist Scheiße.“ Man muss sagen, das war schlecht und das gut. Das ist der Unterschied.

Du hast der Nachwelt vor kurzem auch deine Biografie hinterlassen. Der Titel: „Aus dem Leben eines Revoluzzers“. Es fängt ganz klassisch mit der Kindheit an …

… in Trier. Da hat man noch Hexen verbrannt, als man überall sonst kapiert hatte, dass das nicht geht.

Im Buch kommst du schnell zum ersten Schicksalsschlag: deinen roten Haaren. Warum haben die so zur Identitätsbildung beigetragen?

Rothaarige sind entweder nette Menschen oder Vollidioten.

Und rothaarige Vollidioten sind zu rothaarigen Netten nicht netter?

Die wissen ja nicht, dass es nette Rothaarige gibt.

Was das zur Identitätsstiftung beiträgt, ist trotzdem nicht klar.

„Die Roten soll man schlagen, auch wenn sie nichts gemacht haben.“ Das hat der Direktor vom Internat, ein katholischer Priester, gesagt, als er mir ’ne Ohrfeige gab, bloß weil wir die Beatles hörten. Der Mann hat mir sonst was von Nächstenliebe erzählt. Da bin ich aufgestanden, hab ihm in die Augen geguckt, hab meinen Kamm aus der Tasche gezogen und die Haare nach vorne gekämmt. Von dem Tag an hatte ich lange Haare.

Manche nennen dich den letzten Hippie. Du nennst dich einen Revoluzzer. Bist du kein 68er?

Ich war 68 in Trier bei der Karl-Marx-Demonstration. 2.000 Leute protestierten da gegen die Art, wie die SPD das Karl-Marx-Haus vereinnahmte. Wir hatten in Trier auch ’ne sozialistische Basisgruppe. Die DKP gab’s auch. Da hab ich Leute kennen gelernt, die Jahre im KZ saßen. Was die zu erzählen hatten, war wahnsinnig interessant.

Und was hat dich geprägt: Hippie, Hausbesetzerbewegung, Tunix, Punk?

Wie meinste das?

Was ist dir näher: Anarchie oder sozialistische Kader?

Sozialistische Kader, das war nie mein Ding. Wenn ich nur schon Leute bei Versammlungen vom Zettel ablesen sah, dachte ich, so was kann ich in meinem ganzen Leben nie machen. Wenn ich weiß, was ich sagen will, brauche ich keinen Zettel. Wenn ich es nicht weiß, dann red ich nicht darüber.

Also doch lieber Anarchie?

Was heißt Anarchie? Das wird ja oft negativ gesehen. Dabei ist Anarchie auch was Göttliches, was mit Sinn und Verstand. Anarchie ist für mich keine Gesellschaftsverbindung, die die Welt aus den Angeln heben will. Nein, ganz anders, man geht dabei von Mensch zu Mensch angenehm mit den Dingen um.

Die Veränderung beginnt für dich demnach im Kleinen?

Bevor ich die Welt verändern will, muss ich wissen, wie ich sie verändern will. Indem ich mich selbst verändere, weiß ich zumindest, wie es funktioniert.

Ein anderer Gegensatz, der sich aus der 68er-Bewegung herauskristallisierte: Drogen oder Sozialarbeit?

Ja mein Gott, du hast mal eine geraucht oder hast andere Dinge probiert, die es damals gab. Ich hab auch angefangen, Musik zu machen: mit ’ner Maultrommel, Bongos und ’ner Gitarre dazu.

Okay, probieren wir es mit einem anderen Weg, um was über Drogen und Sozialarbeit zu erfahren. Warst du Robin Hood oder Posträuber?

Posträuber ist übertrieben. Wir waren ja keine Räuber.

Was denn?

Damals, 1973, kam die Nachricht: Chicago ist in der Eifel, wo ich herkam, angekommen. Um Trier rum waren die amerikanischen Kasernen mit den Boys aus Amerika, und so ging das los mit den Drogen und allem. Plötzlich gab es Dörfer mit 600 Einwohnern, 10 Prostituierten, 20 Fixern. Und erst die Nachrichten von Freunden, mit denen ich früher Fußball gespielt habe: vom Hochhaus gesprungen, sich ’ne Überdosis gespritzt.

Damals hatte in Deutschland ja noch keiner Ahnung, wie man mit Heroin umgehen soll. Da hab ich gedacht: Fahr zurück nach Trier und hilf mit, dass die Leute wieder auf Vordermann kommen und nicht wie Kriminelle behandelt werden.

Was genau habt ihr gemacht?

Um die Heroinabhängigen zu unterstützen, hatten Freunde drei Bauernhäuser gemietet. Aber die hatten keine Kohle. Sie bekamen ja auch kein Geld vom Staat. Der Bürgermeister von Trier hing selbst im Geschäft drin. Da haben wir eine Aktion gemacht zu Ungunsten der Deutschen Bundespost.

Man könnte es auch Scheckbetrügereien nennen.

Selbst der Richter, der später das Urteil fällte – bei mir wurde die Anklage fallen gelassen – sagte: „Nun, ich gebe zu, er ist wie Schinderhannes. Nimmt’s den Reichen, gibt’s den Armen.‘

Noch so eine Diskrepanz zwischen den 68ern und denen, die danach kamen: Hausbesetzung oder Marsch durch die Institutionen?

Wir wohnten mit unserer Kommune, 24 Leute, in Kreuzberg, und wir wollten ein Haus mieten, wo wir alles zusammenbringen konnten: Leben und Arbeiten. Wir wollten nicht Stunden unterwegs sein, um zur Arbeit zu kommen. Was kann ich in der Zeit alles Schönes machen: jonglieren lernen, ’ne Show aufbauen, ’ne Dressur einstudieren. So war das eben: Die einen sind auf den langen Marsch durch die Institutionen gegangen, wieder andere haben eine Partei oder eine Armee gegründet. Und wir haben hier eben die Ufa-Fabrik aufgebaut.

Das klingt so einfach.

Das war harte Arbeit. Wir haben uns das ja vorher genau angeguckt und versucht zu klären, was wir machen müssen, damit wir erfolgreich sind. Wir wollten nicht auf die Kacke hauen und mal ’ne gute Presse haben. Wir wollten ein Gelände, wo wir leben, arbeiten, Kultur, Sport, alles machen können.

Früher haben alle alles gemacht. Gibt es heute Hierarchien in der Ufa-Fabrik?

Was man gerne macht, das weiß jeder schnell selbst. Aber man muss sich auch überlegen, wie das alles zusammenpasst. Das ist, was letzten Endes auch den Staat entstehen lässt. Da wurde mir klar: Es ist meine Aufgabe herauszufinden, wie ein Staat entsteht.

Die Ufa ist ein Staat im Staat?

Wir haben hier ja alles, was eine Gesellschaft ausmacht. Wir haben Schulwesen, wir haben Kultur, wir haben Ökologie mit Solaranlagen und Gründächern, wir haben unsere Gärten, unsere Werkstätten, die Bäckerei. 30 Leute wohnen und 200 arbeiten hier.

Und was ist deine Rolle?

Mein Gott, ich bin hier mal neue Wege gegangen mit Diskussionen, die geführt werden, mit Politikern, mit denen man Kontakte hält, mit Kultur, Kinderzirkus, Varieté. Man ist Seelsorger, Feuerwehrmann, Sheriff. Ich bin hier …

der Chef?

Ja Chef, aber ich bin ja kein Chef. Ich bin ’ne Parodie auf den Direktor.

Oder vielleicht Präsident?

Wenn jemand einen Präsidenten braucht, dann können wir auch den aus dem Hut zaubern.

Hast du es geschafft, dein Leben weitgehend in Zusammenhängen zu leben, die dir größtmögliche persönliche Freiheit gelassen haben?

Eigentlich ja, aber das kriegt man nicht geschenkt. Man muss Rücksicht nehmen. Bei uns haben auch Minderheiten eine Chance. Manchmal denkt man, ach du lieber Gott, das wird ja nie was. Aber dann wird genau das was. Hätte man es denen untersagt, dann wäre nie was draus geworden.

Was ist schlecht gelaufen in der Ufa?

Das ist immer schlecht zu sagen, was schlecht gelaufen ist. Man hat ja versucht, immer alles gut zu machen. Wenn ich was falsch gemacht habe, habe ich wieder versucht, es gut zu machen.

Ist dein Staat verschuldet?

Es gibt selten einen Staat, der nicht verschuldet ist, aber wir können diese Probleme alle lösen. So hoch wie Deutschland und Berlin sind wir nicht verschuldet. Solche Fehler wie die machen wir nicht. Wir wissen: Was nutzt es mir, wenn meine Firma gut läuft, aber mein Land zusammenbricht?

In deinem Mikrokosmos wird ehrlich geteilt?

Wie soll man denn sonst teilen? Warum soll ich mir mehr nehmen, damit der andere wie ein Dussel aussieht und ich wie ein Gewinner? Dann ist die Stimmung nicht mehr gut. Dann bin ich doch eigentlich der Verlierer.

Hast du dir schon über die Erbfolge Gedanken gemacht?

Mein Gott, ich weiß ja nicht, wie das hier weitergeht. Das wird sich auch ohne mich weiterentwickeln. Was weiß ich, wie sich was weiterentwickeln kann in der Welt. Man darf doch nicht denken, ich bin der Größte. Ich denke nie so. Ich denke, das ist der Alltag und das muss ich tun. Dazu muss ich nicht der Größte sein und anderen sagen, was zu machen ist. Hier kann man lernen, wie man anständig miteinander umgeht.

Und ein Revoluzzer ist dann ein Lernender, der die Welt verändern will?

Der die Welt positiv verändern will.

Fazit: Juppy ist ein guter Mensch?

Einfach ein Mensch.

Danke, Juppy. Ich hab keine Fragen mehr.

Gehen wir noch Kaffee trinken oder was?