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Hamburger Szene von Ilka KreutzträgerAdieu, du nutzloser Radweg

Vor 15 Jahren war glasklar, dass die Radfahrer*innen keinen Raum bekommen sollten – schon gar nicht auf dem Jungfernstieg

Wurde Zeit, dass der Radweg am Jungfernstieg verschwindet. Zu sehen war der eh nie und gestern haben endlich die Arbeiten begonnen, an deren Ende den Radfahrer*innen die Straße und den Fußgänger*innen der Fußweg gehören wird. Oder, wie Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) es formulierte: „Wir wollen noch in diesem Jahr die Autos aus dem Jungfernstieg herausnehmen.“ Ich stelle mir da Leute von der Verkehrsbehörde mit sehr, sehr langen Armen vor, die mit Daumen und Zeigefinger sachte Autos anheben und sie aus dem Spiel nehmen.

Ich weiß noch, wie ich mich geärgert habe, als sie den Jungfernstieg umgestaltet und den Radweg gebaut haben – alles Ton in Ton mit beigefarbenen Pflastersteinen. 2005 war das und ein Kriterium war der „hohe gestalterische Anspruch“. So formulierte es die Stadtentwicklungsbehörde. Ein farblich oder baulich abgesetzter Radweg genügte diesem Anspruch nicht. Aber, so die Behörde, der Radweg werde ja deutlich durch schwarze Steine in der Breite eines Fahrbahnstreifens abgegrenzt. Genau diese Steine sollen nun als Erstes verschwinden.

Damals lag der Jungfernstieg auf meinem Arbeitsweg, ungezählte Male bin ich auf dem Pseudoradweg gefahren, der sich da auf dem Fußweg, der sich zur Alster hin öffnet, zwischen Bäumen herumwellt. Habe Leute vom Radweg geklingelt. Ebenso häufig habe ich den Radweg verlassen, ohne es zu merken, und musste mich von Fußgänger*innen anpöbeln lassen. Und wie oft haben mich Radfahrer*innen geschnitten, wenn ich auf dem Radweg herumlatschte. Eine echte Lose-lose-Situation. Die einzigen Gewinner*innen: die Autofahrer*innen.

Jetzt scheint sich etwas zu wandeln. Vor 15 Jahren war glasklar, dass die Radfahrer*innen die Störenden sind, die keinen Raum bekommen sollten – schon gar nicht auf dem Jungfernstieg, der Prachtmeile! Nun teilt sicher nicht jede*r die Einschätzung, dass der Jungfernstieg einer der schönsten Orte der Stadt ist, wie es gern aus allen Ecken tönt. Sicher ist aber, es ist ein viel frequentierter Ort mit Symbolkraft. Was hier gemacht wird, bleibt nicht ohne Wirkung.

Damals wie heute sollte die Umgestaltung den Ort attraktiver machen. Allein die Einschätzung, was einen Ort attraktiv macht, ist nun eine andere. Da muss ich noch mal Tjarks zitieren: „Wir wollen, dass die Hamburgerinnen und Hamburger diesen Ort nochmal auf eine andere Art und Weise sinnlich erfahren können.“ Klar, das ist symbolische Politik, und klar, er kann das als Mobilitätswende verkaufen. Aber sei es drum: Es ist doch fein, wenn die Einsicht da ist, dass autofreie Orte sinnlich zu erfahren sind. Das sind vernünftige Spielregeln.

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