Zigarette als Krücke

In „Northern Star“, heute um Mitternacht im ZDF, rauchen die Protagonisten gegen ihre Unsicherheit an

Der junge Mann trinkt Bier – Beck’s, wie man sieht. „Riecht gut“, sagt die 18-jährige Anke. „Ich weiß“, sagt der junge Mann, Ulf heißt er. „Hab ich noch nie probiert“, gibt Anke zu. Nimmt einen Schluck. Schmeckt ihr. Die Bierfirma dürfte zufrieden sein, Produkt gut platziert. Mit Metaxa läuft es nicht so glatt. Anke jedenfalls kotzt ihn wieder aus.

Bestens weg hingegen kommt die Zigarettenindustrie. Vier Protagonisten, 24 Kippen in 82 Minuten Film. Dass es einem aufstößt, dass in etwa jeder dritten Szene ein Akteur eine Zigarette hält und nicht einmal das Boot zu Wasser gelassen werden kann, ohne dass Hauptperson Ulf dazu eine raucht, mag Ergebnis der Schleichwerbungshysterie sein, die Verschwörungsgedanken im Zuschauer weckt.

Tatsächlich ist es der Dunst von frischem und erbrochenem Alkohol, Nikotin und rumliegenden Bierflaschen, der dem ruhigen Film (Buch/Regie: Felix Randau) trotz aller Weite der Landschaft seinen einengenden Charakter gibt.

Als Anke klein war, musste sie mit ansehen, wie ihr Vater vor Cuxhaven in die Nordsee ging. Sie gibt ihrer Mutter die Schuld an seinem Freitod und verweigert sich. In Ulf (Denis Moschitto), der durch den Selbstmord seines Vaters gerade zu Reichtum gekommen ist, trifft sie einen gleichfalls Haltlosen. Anders als ihm, ist es ihr mit der Idee ernst, mit dem kleinen Motorboot fortzufahren, das einst ihrem Vater gehörte. Zwar ahnt sie, dass Ulf mit ihr spielt, doch wahrhaben will sie es nicht. Zu groß ist die Lücke, die der Vater ließ, zu groß das Phantom, das sie anstelle seiner Person schuf.

Erst am Ende, in der letzten Minute des Films, kann sie die Seile kappen, mit denen Ulf sie an sich bindet. Mit dem, was vor ihr liegt, wird sie auch die Stricke lösen können, mit denen sie an ihrem Vater festhält. Dies ist ein ebenso angenehmer Moment wie der, als Ulf und Anke das geheime Zimmer von Ulfs altem Herrn zertrümmern.

Ansonsten ist alles in diesem Stück schwer erträglich: die ätzende Anke, ihre stille Mutter, der selbstgefällige Schnösel Ulf, das Braun der Einrichtung und das Grau der Umgebung. Um das Elend wie Patchworkteile aneinander zu kleben, suppt schales Bier unablässig vor sich hin, hüllt der Zigarettendunst die Szenerie ein wie London der Nebel. Manchmal hat man den Eindruck, die Zigarette sei eine Krücke für die Schauspieler, die sonst nicht wüssten, wie sie ihr Bemühen um Solidarität, um Abgrenzung oder ihre Nervosität darstellen sollten. Für diese Form von Hilfsmaßnahme sind die Rollen mit Lena Stolze als Mutter und Julia Hummer als überzeugend postpubertäres Pestkind Anke zu hochrangig besetzt. Bleibt der Schluss, es stand im Drehbuch. Und die werden, wie wir jetzt wissen, immer öfter von der Industrie geschrieben.

SILKE BURMESTER