vor 13 jahren in der taz: über attentate und notstandsgesetze
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Ich weiß nicht, wie lange die öffentliche Gemütsbewegung wegen des Todes von Staatsanwalt Borsellino und seiner armen Leibwächter anhalten wird. Es war ein grauenhaftes Blutbad. […] Und dennoch: Wie viele Tote durch die Mafia hat es schon gegeben, Tote mit berühmten und solche mit gewöhnlichen, unbekannten Namen? Die Erinnerung an sie alle fällt schwer, weil sich nach den Morden nichts verändert hat, es sei denn in negativer Hinsicht. Kann man da noch hoffen, daß etwas Neues, Positives geschieht? Es gibt ja genug Gesetze und nun auch die neuen Super-Anti-Mafia-Gesetze, mutige Staatsanwälte und Super-Staatsanwälte, Maxi-Prozesse und Massen-Deportationen, eine faktische Einschränkung von Grundrechten, Tausende personenbezogener Akten.

Reicht diese Aufrüstung noch immer nicht? Wir glauben nicht an die Logik des Notstandes und werden niemals daran glauben. Nicht nur aus prinzipiellen Gründen, sondern weil Notstandsgesetze stets mehr Übel anrichten, als sie abstellen, und weil sie nicht auf eine derart umfangreiche und komplexe Erscheinung anwendbar sind. Und wir glauben noch weniger an ihren Sinn, wo wir es mit einer Politwelt zu tun haben, die den Notstand zuallererst auf sich selbst anwenden müßte.

Bei alledem laufen wir eine doppelte Gefahr. Die eine besteht darin, daß nach der Beruhigung der öffentlichen Erregung absolut nichts passiert, oder allenfalls irgendwelche theatralischen Gesten. Die andere Gefahr besteht darin, daß der x-te Rückgriff auf Notstandsmaßnahmen zu einem Ablenkungsmanöver wird, das zum Aufbau einer scheinbaren Glaubwürdigkeit für in Wirklichkeit völlig diskreditierte politische Gruppen und Personen dient. Zwei Gefahren, eine schlimmer als die andere. Beide müssen wir verhindern, beide bekämpfen. Luigi Pintor, 25. 7. 1992. Der Autor war Mitgründer der linken italienischen Tageszeitung „il manifesto“ und zeitweilig linksunabhängiger Parlamentarier.