Schöpferische Zerstörung

KAPITALISMUSKRITIK Der Koreaner Il-Jin Atem Choi hat Graffiti in den Wolfsburger Kunstverein gemalt und wird sie zum Schluss mit den Besuchern übermalen. Ganz im Sinne des Ökonomen Joseph Schumpeter

Atem Choi wird als „Schlumpf Peter“ zur finalen Performance erscheinen

Wie kommt man autodidaktisch zur Kunst? Bei dem Koreaner Il-Jin Atem Choi führte der Weg übers Graffito. Und dieser Weg war nicht gerade: International Business hat er studiert, dann als Unternehmensberater gearbeitet, bevor ihm klar wurde: Das kann nicht alles sein. 2008 wurde er freier Künstler. Und da er von der flüchtigen Variante des Graffiti kommt, gehört bei ihm auch die Zerstörung derselben, oft als Finissagen-Performance inszeniert, zum Konzept, genauso wie alltägliches Material und die Technik des Seriellen.

Wie er das macht? Zum Beispiel, indem er Galerieräume oder private Zimmerfluchten mit einem Schuppenkleid aus vielen Tausend gelben Haftnotizzetteln auskleidet. Eine seiner so entstandenen „Brennstoffzellen“ diente als installative Neudefinition einer 350 Quadratmeter großen Wohnung. Während die Ausstellung lief, hat der Inhaber darin zwei Wochen lang schriftstellerisch gearbeitet. Selbst der Waschmaschine hatte Il-Jin Atem Choi ein Schuppenkleid verpasst; einzig das WC blieb zettelfrei.

Ziel war es – und das gelang –, ein klaustrophobisches, aber auch poetisches Raumgefühl zu schaffen. Denn für Atem Choi ist ein solches quasi-installatives Kunstwerk ein Lebensraum. In einer anderen „Brennstoffzelle“ wurden die Besucher angeregt, Zettel abzureißen und zerknüllt auf dem Boden zu hinterlassen. Als Finissage gab es ein kollektives Abriss-Happening mit Jam-Session und Grillwürstchen.

Im Wolfsburger Kunstverein hat Il-Jin Atem Choi nun den sogenannten ‚Raum für Freunde‘ in Beschlag genommen. Hier hat er wieder einmal mit Graffiti gearbeitet. In einer viertägigen Aktion hat er die Wände der Raumnische mit einem Gitter aus schwarzen Streifen besprüht, die in Trompe-l’oeil-Manier eine erstaunliche räumliche Tiefe entwickeln und wie ein plastisches, dreidimensionales Flechtwerk wirken.

Außerdem gibt es Grafiken zu sehen. Aus einem schwarzen, satten Tuschering hat Atem Choi da zum Beispiel Linien und Strukturen fließen lassen, indem er die noch nassen Blätter hin und her schwenkte. Ein bisschen sehen sie wie Stadtpläne im großen Maßstab aus.

Und natürlich werden auch die Wolfsburger Graffiti-Wände am Ende der Ausstellung von Künstler und Besuchern vernichtet. Dabei kommt dann auch der Wirtschaftswissenschaftler Atem Choi zum Zuge: Er wird nämlich die Theorie des Ökonomen Joseph Alois Schumpeter zitieren, der die schöpferische Zerstörung als Movens des innovativen wirtschaftlichen Wachstums definierte, das zum Wohle der Menschheit geschehe.

Als dessen Wiedergänger ‚Schlumpf Peter‘ wird Atem Choi in entsprechendem Kostüm auftreten, Farbeimer, Pinsel, Rollen im Gepäck. Und es wird wohl nicht lange dauern, bis nach seiner kurzen Initiation alle zu den Malutensilien greifen, um die Graffiti zu überstreichen.

Im Idealfall wird Il-Jin Atem Choi die Aktion danach nur noch beobachten. So wie ein weiteres Alter Ego des Atem Choi, der geschäftstüchtige Tom Sawyer. Dessen Kumpel beschenkten ihn, um an seiner statt den 30 Meter langen Zaun der Tante Polly zu streichen. Und das nur, weil er ihnen weismachte, dass dies keine Mühe, sondern purer Spaß sei: Man habe, so Sawyer, schließlich nicht jeden Tag die Gelegenheit, etwas anzustreichen.

BETTINA MARIA BROSOWSKY

bis 12.  8. 2012, Wolfsburg, Kunstverein. Finissage mit Performance: 12.  8., 16 Uhr