Keine Genossen für eine linke Volksfront

Fast alle Beteiligten weisen Spekulationen über ein rot-rot-grünes Bündnis weit von sich. Die Linkspartei sieht sich eher als Kopf einer starken Opposition. Die SPD-Spitze wäre lieber der Juniorpartner einer großen Koalition. Selbst SPD-Linke wiegeln ab

VON ULRIKE WINKELMANN

„Volksfront“ lautet der neueste Slogan der Union aus dem Topf „negative Wahlwerbung“. Die CDU- und CSU-Strategen hoffen, mit der Beschwörung eines rot-rot-grünen Bündnisses in der Bevölkerung eine Variante der Kommunistenangst auszulösen. Das schwarz-gelbe Lager verliert derzeit Umfrage-Prozente.

Wenn es am Wahlabend des 18. September für eine schwarz-gelbe Koalition nicht reicht, wäre ein Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei rein rechnerisch tatsächlich eine Alternative zur großen Koalition.

Bloß stehen die Kandidaten nicht für eine Volksfront bereit. Die gegenwärtige SPD-Spitze hofft erkennbar auf die Juniorpartnerschaft in einer großen Koalition. Die Grünen tun, als setzten sie auf einen rot-grünen Sieg, spekulieren also auf die Oppositionsführerschaft. Diesen Rang aber wird den Grünen die neue Linkspartei streitig machen – denn die will erklärtermaßen überhaupt nicht regieren.

„Für einen Politikwechsel braucht es derzeit eine starke Opposition“, sagte Katja Kipping, sächsische Vizevorsitzende der frisch umgetauften PDS-Linkspartei „Die Linke“, gestern zur taz. Einzig vorstellbarer gesellschaftlicher Bündnispartner seien für sie die sozialen Bewegungen. „Um mit der SPD zusammenzuarbeiten, müsste die erst einmal über Jahre ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen.“

Die neuen linken Forderungen im SPD-Wahlmanifest deuteten zwar auf die Strahlkraft der Linkspartei hin. Aber, sagte Kipping, „die SPD hatte 2002 auch nette Punkte im Wahlprogramm – und bis jetzt haben sich die progressiven Kräfte dort nicht durchgesetzt“.

Die damit Gemeinten sehen das zwar genauso. Doch hüten sich die aktiven SPD-Linken derzeit vor jedweder Muskelbewegung in Richtung Linkspartei. Der Bundestagsrebell und Saar-Spitzenkandidat Ottmar Schreiner muss zu Hause gegen eine 20 Prozent starke Linkspartei mit seinem Freund Oskar Lafontaine vorneweg Wahlkampf machen.

Schreiner erklärte gestern der taz, anders lautende Meldungen beruhten auf mutwilligen Fehlinterpretationen: „Ich beteilige mich nicht an abwegigen Koalitionsspekulationen“. Er habe vor der „Dämonisierung“ der Linkspartei gewarnt. Doch sei dies keine Koalitionsaussage. „Rot-Rot-Grün wird es schon deswegen nicht geben, weil die auf jeden Fall in die Opposition wollen.“

Der bayerische SPD-Abgeordnete Florian Pronold nannte der taz als ersten Grund, warum Rot-Rot-Grün ausgeschlossen sei, die Person Lafontaine. „Mit ihm wird es über Jahre hinweg keine Verständigung geben.“ Die „enttäuschte Liebe“ zum Exparteivorsitzenden und der „Faktor Verbitterung“ seien „nicht so schnell zu überwinden“.

Pronold nannte auch Vorbehalte gegenüber dem bayerischen beziehungsweise fränkischen WASG-Personal, soweit es aus der SPD ausgetreten ist. „Hätten Klaus Ernst und seine Leute mit derselben Energie in der SPD etwas zu bewegen versucht, mit der sie heute die SPD bekämpfen, wären wir alle heute weiter.“ Eine „gespaltene Linke“ sei „auf Dauer ein Drama“.

Einzig Pronolds bayerische SPD-Mitabgeordnete Sigrid Skarpelis-Sperk ließ sich am Wochenende mit einer Präferenz für Rot-Rot-Grün zitieren: „In der Wahlnacht kommt alles auf den Prüfstand“ – und sie jedenfalls finde, dass eine große Koalition bloß den rechten wie den linken Rand stärke. Doch Skarpelis-Sperk tritt gar nicht mehr zur Wahl an. Sie gehört zu den SPD-Politikern, die sich aus Frust über die Agenda-2010-Politik von Kanzler Gerhard Schröder aus der Politik zurückgezogen haben.

Der einzige Ort, an dem die „Volksfront“ derzeit mehr als ein Gespenst ist, sind die Gewerkschaften: Faktisch sind sie ein rot-rot-grünes Bündnis. Vor allem aus der IG Metall rekrutieren sich die WASG/Linkspartei-Funktionäre im Westen. Doch weil die DGB-Spitzen Michael Sommer und Ursula Engelen-Kefer als SPD-Politiker dies nicht billigen, brauchte es einen grünen Gewerkschaftsboss, um das Naheliegende zu sagen: Aus Sicht der Gewerkschaften habe das Linksbündnis „die Parteienlandschaft spannender und farbiger gemacht“, so Ver.di-Chef Frank Bsirske zur Welt am Sonntag. „Die Grünen profilieren sich wieder als moderne Linkspartei, die SPD konkretisiert ihr Programm.“

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