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Ein Leben in Worten

Erinnerungen und Erfahrungen an folgende Generationen weiterzugeben hilft, das eigene Leben zu ordnen

Einen Kurs für alle, die über sich selbst schreiben wollen, hat Hanns-Josef Ortheil verfasst. Der Ratgeber ist kein strenges Lehrbuch mit Geboten und Regeln, sondern eröffnet den Lesern ein Spektrum kreativer Ansätze zum Ausprobieren. Das Buch widmet sich mit einer Reihe von Schreibübungen sämtlichen Facetten des autobiografischen Schaffens: von der Kindheitserinnerung und über typische Formen der Selbstbeobachtung, das Erzählen prägender Erlebnisse und Lebensabschnitte bis hin zu längeren autobiografischen Texten über Herkunft, Familie und biografische Entwicklungen. „Nach der Lektüre dieses Buchs“, so Ortheils Ziel, sei Schreiben über sich selbst, „was es sein sollte: eine lebensnotwendige, lebensverlängernde, lebensintensivierende Kraft“.

Hanns-Josef Ortheil: „Schreiben über mich selbst. Spielformen des autobiografischen Schreibens“. Duden Verlag, 160 Seiten, geb., 14,95 Euro

Von Lars Klaaßen

Meist kommt der erste Anstoß beim Lesen: Das kann die Biografie einer berühmten Persönlichkeit sein oder deren Memoiren. Vielleicht ist es auch die Lektüre einer Familiensaga wie der „Buddenbrooks“. Wer dann den ersten Schritt vom Lesen zum Schreiben macht, wird sich wahrscheinlich in einer ungewohnten Situation wiederfinden. Auf dem Tisch ein weißes Blatt Papier, in der Hand ein Stift – und im Kopf ein ganzes Leben: Erinnerungen an Kindheit und Jugend; an die erste Liebe und an Menschen, von denen manche bereits gegangen sind; Wohnorte und Reisen, Privates und Berufliches …

„Einen Anfang zu finden kann unglaublich schwer erscheinen“, weiß Schreibpädagogin Kirsten Alers. Die Dozentin am Studiengang „Biografisches und Kreatives Schreiben“ an der Alice Salomon Hochschule Berlin bietet Kurse an, die Menschen beim autobiografischen Schreiben unterstützen. „Wer die Lust zu schreiben verspürt, braucht sich davon aber nicht abschrecken zu lassen.“ Der erste Schritt ist in der Regel ein stiller: Augen schließen und Erinnerungen kommen lassen. Dann erst einmal ins Schreiben zu kommen, ohne große Überlegungen anzustellen, ist auch schon mal gut. „Es erleichtert die weiteren Schritte ungemein, sich darüber klar zu sein, warum ich überhaupt schreiben möchte“, erläutert Alers. Möchte ich meine Erinnerungen auffrischen; mir darüber klar werden, wer ich bin und wie ich wurde; für andere schreiben, etwa Kinder oder Enkel?

„Aus der Motivation heraus ergibt sich die Art des Schreibens“, sagt die Schreibpädagogin. Wissen etwa meine Leser, was gemeint ist, wenn dort steht ‚Ich und Imke‘? Oder schreibe ich für das bessere Verständnis besser ‚Ich und meine Schwester‘? Wer etwa für eine konkrete Person schreibt, könnte dies auch in Briefform tun. Unabhängig davon, aus welchem Grund und für wen man schreibt, gilt: Es ist unmöglich, ein Leben in Gänze darzustellen. Eine Autobiografie gewinnt an Reiz, indem sie Themenschwerpunkte setzt. Daraus ergibt sich: „Man sollte nicht der Versuchung erliegen, sein Leben chronologisch zu beschreiben“, so Alers. Bei der Geburt anzufangen und dann sämtliche Stationen durchzugehen, sei keine gute Idee. „Wer hingegen episodisch schreibt, macht es sich selbst einfacher und sein Werk für Lesende interessanter.“

Ein großer Vorteil der episodischen Herangehensweise: Lücken sind kein Problem, das Schreiben fällt leichter. „Die chronologische Herangehensweise befördert oft einen eher steifen Berichtsstil oder auch das Bedürfnis, alles unter einen Sinnzusammenhang zu bekommen“, sagt Alers. „Und ein Ziel des Niederschreibens des eigenen Lebens könnte ja sein, auch neue Verknüpfungen oder eben Oberthemen zu entdecken.“ Wer die ersten Episoden seines Lebens aufs Papier gebracht hat, wird in der Regel bemerken, was sich thematisch herausbildet: etwa die Liebe, Berufungen oder Lebensphilosophien.

Um sich darüber hinaus selbst zu orientieren, bietet es sich an, lose Blätter mit Notizen in einen Aktenordner zu heften, auch dies am besten schon thematisch sortiert. Was hier chronologisch helfen kann, ist der sogenannte Fahrstuhl (siehe Kasten). „Erinnerungen lassen sich vor allem sinnlich einfangen“, betont Alers. „Das können Fotos sein oder Lieder, Einzelstücke aus einem Schmuckkästchen oder Porträts von mir wichtigen Menschen.“

Die Erinnerungen ans eigene Leben und der Prozess des Schreibens brauchen im wörtlichen Sinn vor allem Zeit und Raum: sich an bestimmten Tagen zu einer konkreten Uhrzeit einen stillen Ort zu suchen, um sich zu sammeln. „Dies ist auch ein Zeichen dafür, dass man dieses Schaffen ernst nimmt“, sagt Alers. Anregungen bekommt auch, wer parallel zum Schreiben liest: etwa durch die Autobiografien anderer Menschen. Persönliche Lieblingsgedichte wiederum bieten einen anregenden Rahmen, den man mit eigenen Inhalten füllen kann.

„Während bei solch einer reizvollen Schreibübung die sprachliche Form sehr streng vorgegeben ist, empfiehlt sich beim autobiografischen Schreiben ein Erzählton – wenn man so schreibt, als würde man tatsächlich eine Begebenheit jemandem am Telefon erzählen, fällt das Schreiben oft leichter und der Ton wirkt lebendiger“, rät die Schreibpädagogin. Die persönliche Note könne etwa auch unterstrichen werden, indem man die Sprache oder den Dialekt seiner Kindheit nutzt. „Das fördert oft auch den Schreibfluss.“

Ein weit verbreitetes Vorurteil ist übrigens, dass Schreiben eine einsame Tätigkeit sei. „Wer sich dabei mit anderen zusammentut, bekommt viele Anregungen“, so Alers.“ Findet sich in der Nähe kein entsprechendes Angebot, kommen vielleicht im Bekanntenkreis einige Interessierte für eine Schreibgruppe zusammen.