die woche in berlin
: die woche in berlin

Der Coronafrieden scheint vorbei, Rot-Rot-Grün streitet wieder wie vor der Pandemie. Nach den Bränden im griechischen Flüchtlingslager Moria muss Berlin einen Weg finden, Flüchtlinge aufzunehmen. Der Bericht der Untersuchungskommission zu Missständen an der Staatlichen Ballettschule belegt neben pädagogischem auch politisches Versagen

Wie soll das bloß noch ein Jahr halten?

Die rot-rot-grüne Koalition streitet wieder wie vor Corona

Jeder traut dem anderen nur so weit, wie er ein Klavier schmeißen kann“, war mal sehr treffend formuliert über eine Regierung in einem anderen Bundesland zu lesen. Viele Jahre ist das her, aber der Satz ließe sich problemlos auf den aktuellen Zustand der rot-rot-grünen Berliner Koalition übertragen.

Alle paar Tage knallt es bei einem anderen Thema: vorige Woche, als nach dem Kopftuch-Urteil der grüne Justizsenator Behrendt seine Kabinettskollegin vom Bildungsressort düpierte, weil die neue Kopftuch-Regelung für Jura-Referendarinnen nur einige Tage später auf den Weg kam. Diese Woche, weil die SPD im Senat auf den letzten Drücker erneut das vor einem halben Jahr schon mal gestoppte Klimapaket der grünen Senatorin Regine Günther aufhielt – weil angeblich wichtige Dinge fehlten und anderes den Sozialdemokraten zu unsozial erschien.

Seit März und auch die Sommerpause hindurch schien die Koalition endlich zu funktionieren, ja, zu harmonieren. Regierungschef Michael Müller (SPD) und seine beiden Vizes, Klaus Lederer von der Linkspartei und Ramona Pop von den Grünen, vermittelten den Eindruck, die Krise gut zu bewältigen. In Pressekonferenzen kam tatsächlich der Eindruck rüber, da zögen drei Partner an einem Strang.

Nun ist Corona noch lange nicht passé, aber es sieht zumindest so aus, als komme Berlin einigermaßen mit der Krise klar. Das lässt deshalb auch wieder andere Themen nach vorne kommen – Themen, die bereits vor dem Lockdown für viel Streit in der Koalition sorgten. Gerade geht es nicht um Wohnungsbau, bei dem SPD und Linkspartei im Dauerclinch lagen, sondern um Verkehr und Klimaschutz, wo sich die Sozialdemokraten längst nicht überall mit den Grünen einigen können – oder wollen. „Klima­krise“, spottete unter der Woche jemand doppeldeutig über den jüngsten innerkoalitionären Streit.

Die Frage ist: Wie viele solcher Auseinandersetzungen hält die Koalition noch aus? Vor allem, wenn der inoffiziell längst begonnene Wahlkampf hochoffiziell wird? Wann ist der Punkt erreicht, wo die eine oder andere Seite schon aus Gründen der Selbstachtung eigentlich sagen muss: bis hierher und nicht weiter?

Wobei die SPD von den drei Partnern am ehesten im Verdacht steht, einen solchen Bruch bewusst zu provozieren: denn sie könnte mit ihrer designierten Spitzenkandidatin Franziska Giffey mutmaßlich am meisten von einer vorgezogenen Neuwahl mehrere Monate vor der Bundestagswahl profitieren. Bei parallelen Wahlen am selben Tag fürchten viele Sozialdemokraten, dass der Boom der CDU auf Bundesebene auf Berlin durchschlägt.

Eine solche Strategie aber könnte auch im völligen Absturz münden: Ließe sich ein Koalitionsende nicht 100-prozentig schlüssig erklären, stünde die verantwortliche Partei als jene dar, die einem Land im Corona-Krisen-Modus der Abstandsregeln einen weiteren Wahltermin aufbürdet.

Es läuft darauf hinaus, dass alle die Zähne zusammenbeißen und versuchen werden, eben keine Situation entstehen zu lassen, aus der es kein Zurück mehr gibt. Keine tollen Aussichten sind das für das letzte Jahr eines rot-rot-grünen Bündnisses, das seinen Koalitionsvertrag 2016 mit „Berlin gemeinsam gestalten“ überschrieben und darin sogar ausdrücklich „Gutes Regieren“ versprochen hat. Stefan Alberti

Die SPD könnte mit ihrer designierten Spitzen­kandidatin Franziska Giffey wohl am meisten von einer vorgezogenen Neuwahl profitieren

Stefan Alberti über den zunehmenden Krach in der rot-rot-grünen Koalition

Berlin muss jetzt handeln

Nach den Bränden im Flüchtlingslager Moria

Seit Mittwoch ist die Situation in Moria eskaliert. Mehrere Brände zerstörten das überfüllte Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos vollständig, Tausende Menschen sind obdachlos, viele unversorgt. Zu sagen „es reicht jetzt wirklich“, wäre eine maßlose Untertreibung, man sei „gescheitert“, in vielerlei Hinsicht falsch. Was wurde denn versucht?

Man schaue sich das systematische Abriegeln der EU-Außengrenzen in den letzten Jahren an. Man schaue sich an, wie Deutschland 2016 mit der Türkei ein Abkommen aushandelte, in dem buchstäblich mit Menschen gehandelt wird. Man führe sich den Horror vor Augen, den die geflüchteten Menschen auf Lesbos bereits erleben mussten. Ja, man denke daran, dass nach Coronafällen in Moria – anstatt zu evakuieren – das Lager unter Quarantäne gestellt wurde – ein Lager, in dem fast fünfmal mehr Menschen eingesperrt waren, als eigentlich darin Platz haben.

Es wundert nicht, dass das Innenministerium auch nach den Bränden bisher nicht von einer Aufnahme der Geflüchteten sprach und Merkel sich jetzt gemeinsam mit Macron nur zu einer Zahl von 400 Menschen durchringen konnte. Schon seit Jahren bleibt eine Aufnahme, die sich in einem notwendigen – und möglichen – Umfang bewegt, aus.

Viele Augen wandern von der unwilligen Bundesebene darum zu den Ländern. Unter anderem Berlin hatte eigenständig die Entscheidung getroffen, mehrere Hundert Geflüchtete aufzunehmen: Es gebe Platz. Innenminister Horst Seehofer blockierte den Entschluss. Dass es für die Länder in dieser Katastrophensituation nun nicht möglich ist, den Menschen auf Lesbos legal mit einer Aufnahme zu helfen, obwohl sie es könnten, ist absurd.

Wie die Berliner Grüne Bettina Jarasch im taz-Interview sagte, sei sie, um Seehofer Druck zu machen, für einen „gemeinsamen Beschluss der Länder, dass wir mehr Geflüchtete aufnehmen können als die 928 Menschen, die bisher kommen dürfen“. Den gibt es aber frühstens in einer Woche, wenn der Bundesrat tagt. Bis dahin sind vielleicht Menschen gestorben.

Unabhängig von diesem Beschluss muss es außerdem schnell eine Klage gegen Seehofers Blockade geben. Wo bleibt die? Es lägen „viele rechtliche Expertisen vor, insofern ist die Position von Seehofer juristisch mindestens angreifbar“, sagte Jarasch.

Doch auch ein gerichtliches Verfahren würde lange dauern. Die Frage, die bleibt: Wer macht sich hier eigentlich schuldig, während die Zeit verrinnt? Es ist doch nicht Berlin, wenn es entgegen Seehofers Bestimmungen sofort handeln würde. Schließlich ist das, was dieser Mann da tut, indem er nichts tut, mehr als unterlassene Hilfeleistung.

Bei Seehofer auf eine humanitäre Erleuchtung zu warten, ist sinnlos. Länder wie Berlin, die bereits Menschen aus Moria aufnehmen wollten, müssen jetzt sofort mit allen erdenklichen Mitteln handeln. Greta Rothenpieler

Ein Recht auf Unversehrtheit

Die Affäre um die Staatliche Ballettschule

Leistungssport ist eine ziemlich harte und kompromisslose Sache, da sollte man sich keine Illusionen machen. Wenn man, wie die Kinder an der Staatlichen Ballettschule und Schule für Artistik, später in den großen Staatsballetts tanzen will, ordnet man diesem Ziel schon in Kindertagen alles andere unter. Und selbst dann ist der Erfolg nicht planbar. Gut möglich, dass man sich jahrelang umsonst schindet, weil mit 15 Jahren der Körper nicht mehr will oder das Quäntchen Glück fehlt bei den Engagements nach dem Abschluss.

Das ist brutal, und man darf vermuten, dass die TanzlehrerInnen an der Eliteschule in Prenzlauer Berg, die selbst aus der Praxis kommen und für die Tanzausbildung an der zum Abitur führenden Schule zuständig sind, das wissen. Kinder im wahrsten Sinne des Wortes fertigzumachen, weil man mit dem nüchternen Blick des Profis sieht, dass sie es nie an die Spitze schaffen werden, ist trotzdem ein pädagogisches und vor allem ein menschliches Versagen – und dass dies an einer staatlichen Schule so lange passieren konnte, wie der Abschlussbericht einer Untersuchungskommission im Auftrag der Bildungsverwaltung am Montag deutlich machte, ist wiederum ein politisches Versagen.

Viele Seiten dick ist der Abschlussbericht der Expertenkommission. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will jetzt „demokratische Strukturen“ an der Schule entwickeln. Elternarbeit soll tatsächlich stattfinden, VertrauenslehrerInnen ihrem Namen auch gerecht werden, ein Kinderschutzkonzept soll her – übrigens für alle Berliner Schulen. Dass die ein solches nicht längst haben, ist an sich auch schon bemerkenswert.

Auch die Schulleitung hat Scheeres bereits ausgetauscht, gegen drei andere Lehrkräfte werde eine Kündigung geprüft, heißt es. Ein externer Fachbeirat soll eingerichtet werden, der neben der Schulaufsicht – die kläglich versagt hat – ein Auge auf die Schule hat. Und so weiter. Das klingt erst mal gut, weil nach entschlossenem Handeln.

Allerdings darf man auch schon wieder misstrauisch werden, wie viel Entschlossenheit bleibt, wenn zentrale Stellschrauben auf Nachfrage dann doch nicht gedreht werden. Ein Referendariat als Mindestvoraussetzung für das künstlerische Personal, wie es die Kommission im Bericht empfiehlt? Wird es nicht geben, dafür eine Art Grundkurs Pädagogik am Weiterbildungsinstitut der Bildungsverwaltung.

„Jedes Kind muss eine Chance haben“, hatte der Vorsitzende der Expertenkommission Klaus Brunswicker am Montag gesagt. Das ist wohl wahr. Denn auch, wenn der Trainingsfleiß längst nicht bei allen der BallettschülerInnen später in eine Tanzkarriere mündet: Sie müssen die Chance haben, unversehrt durch diese Schule zu kommen. Sie haben ein Recht darauf. Anna Klöpper