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: Gewaltfantasien nach dem Affentheater

In der Nacht vor der Demo der Durchblicker und Aufrechten trägt in der S-Bahn keiner Mundschutz. Alle Vögel sind schon da: die kryptofaschistischen Wutschwaben, die Münchener Maskenmuffel und all die andern Quer-, Schief- und Schrägdenker. Geradeausdenker wären der Sause sicher ganz zuträglich, sind aber nicht dabei.

Die drei neben uns wirken eher wie Kirchentagsbesucher, nicht wie brüllende Muckimänner, ein dieser Tage oft gesehener Phänotyp in der Schar der Aufständischen. Im Rücken ambulanter Meditationskurse toben Anabolikaopfer mit bandagierten Fäusten – eine Arbeitsteilung wie bei Bienen, nur mit schwächerem Ergebnis.

Eben weil sie so harmlos wirken, sprechen wir die drei freundlich an: was sie hier um Gottes willen machen, und wann sie bitte wieder in ihr Kaff verschwinden. Wir bekommen ausweichende Antworten. Auf den nächsten Tag freuen sie sich wie Kinder auf Weihnachten. Sie erwarten eine friedliche Veranstaltung mit lauter netten Menschen. Und wir sind doof. Konkrete Anliegen – Fehlanzeige.

In Kommentaren stellen sich linke Freunde, denen das willkürliche Verbot des Hanauer Gedenkmarschs noch keine Silbe wert war, gegen die Absage der Demo und treten erneut das Märchen vom ach so vielschichtigen Protest breit.

Die ungeschnittene Dreiviertelstunde von Dunya Hayalis Spießrutenlauf am 1. August sprach freilich eine andere Sprache: Wo immer sie auftaucht, schreien wutverzerrte Fratzen los: „Lügenpresse!“ Auch ohne Nazi-Diagnose handelt es sich mindestens um dumpfes Pegida-Pack, Grenzgänger am rechten Rand, dazwischen auch mal eine einsame Gestalt mit „Jesus liebt dich“-Schild. Jesus, Hitler, Hildmann – wo ist da schon groß der Unterschied?

Das bestätigen am Abend nach der Demo auch die Berlinbesucher anlässlich einer Geburtstagsparty. Sie alle haben Hotels in Mitte, sie alle sind überrascht: drinnen, draußen, überall Nazis, garniert mit einer Mischung aus seelisch, sozial, historisch Derangierten, die sich allesamt für wackere Partisanen halten.

Das legen anderntags auch die Bilder vom Reichstag nahe. Drei Polizisten halten den Mob zurück, dazu ihr ungeschützter Chef – hier bin ich ausnahmsweise mal für sie, so wie ich immer für die Drecksbayern bin, sobald sie gegen Paris oder ManCity spielen. Als endlich Verstärkung eintrifft, hoffe ich, dass die Bekloppten zünftig vermöbelt werden, doch nichts passiert.

Natürlich schäme ich mich mit Abstand für meine Gewaltfantasien, ähnlich wie für jene, die mich befallen, wenn mal wieder ein motorisierter Vollidiot mit meinem Leben als Radfahrer spielt. Und willkürliche Polizeigewalt weicht nun mal selbst dann rechtsstaatliche Prinzipien auf, wenn sie sich gegen rechts richtet. Trotzdem darf und muss man die erstaunliche Langmut der Bullen mit offenbar ihresgleichen hinterfragen, bedenkt man, mit welcher Verve sie sonst leptosome Naturschutz-Kiddies im Auftrag steinreicher Bösewichter aus Wald, Tagebau oder Szenekneipe kloppen.

Beim Anblick zögerlich erhobener Schlagstöcke fragt man sich, warum sie nicht gleich mit bunten Schwimmnudeln auf die Kameraden einpuscheln. Solch ein ironisch gebrochener Dienst nach Vorschrift würde den leicht karnevalistischen Charakter des Affentheaters noch unterstreichen. Uli Hannemann