piwik no script img

Nach der Wahl in MontenegroWacklige Sache

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Die Mehrheit aller Oppositionsparteien nach der Wahl ist hauchdünn – und unterschiedlicher könnten die VertreterInnen nicht sein. Was nun?

Podgorica, 31.8.: Anhänger und Anhängerinnen der proserbischen Opposition feiern den Wahlausgang Foto: Stevo Vasiljevic/reuters

E rstmals seit dem Zerfall Jugoslawiens ist ein Machtwechsel in Montenegro möglich. Das liegt zum einen daran, dass es bei der Wahl am Sonntag der proserbischen „Partei für die Zukunft Montenegros“ gelang, die Menschen zu mobilisieren, die sich als Serben fühlen und von der serbisch-orthodoxen Kirche beeinflusst sind. Und zweitens liegt es daran, dass es den liberalen und grün-zivilgesellschaftlichen Parteien gelungen ist, zusammengenommen fast 20 Prozent der Bevölkerung für den Kampf gegen die Korruption im Staatsapparat und für eine Demokratisierung des Systems zu aktivieren.

Doch wie wird es weitergehen? Denn das Wahlergebnis fiel sehr knapp aus. Würden alle Oppositionsparteien zusammengehen und eine Koalition bilden, kämen sie auf die knappe Mehrheit von 41 der 81 Sitze gegenüber der alten Koalition aus Sozialisten, Sozialdemokraten und den Minderheiten der Albaner und Bosniaken, die auf 40 Sitze kommen. Das ist eine sehr wackelige Angelegenheit. Zumal in diesem Bündnis Leute zusammensäßen, die unterschiedlicher nicht sein können.

Während die mit nationalistischen Extremisten durchsetzte proserbische Partei das Land wieder enger an das Serbien des diktatorisch herrschenden Aleksandar Vučić binden möchte, wollen die anderen Parteien weiter an einer demokratisch europäischen Zukunft arbeiten. Dass es sofort nach dem Wahlergebnis zu Übergriffen serbischer Extremisten gegenüber Muslimen kam, kann den liberalen und zivilgesellschaftlichen Kräften nicht gefallen. So fürchtet der montenegrinische Schriftsteller Andrej Nikolaidis für die nächste Zukunft schon ein „schwarzes Szenario“ heraufziehen.

Bei aller Kritik an Milo Đukanović – der übrigens weiterhin Präsident bleiben wird – kann man ihm und seiner Sozialistischen Partei auch nicht absprechen, das Land näher an den Westen, die Nato und an die EU herangeführt zu haben. Die größte Leistung ist aber, dass der Vielvölkerstaat Montenegro in seiner ethnischen Zusammensetzung so geblieben ist, wie er vor dem Krieg der 1990er Jahre war: Auch Albaner und Bosniaken konnten sich in diesem Staat sicher fühlen.

Die zwischen den Oppositionsparteien schon jetzt avisierte Regierung von „Experten“ könnte einen Kompromiss darstellen. Hätte sie aber die Kraft, die durch Corona verschärfte Wirtschaftskrise zu bewältigen und den Umbau des Staatsapparates anzugehen? Wenn nur ein Abgeordneter die Seiten wechselt, wäre sie schon am Ende.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
Mehr zum Thema

0 Kommentare