: Alte und Neue Rechte in Italien
Den Duce zitieren und Innenminister werden – in Italien scheint vieles möglich, auch wenn das Land gerade eine kleine Atempause von der extremen Rechten an der Regierung nimmt
Von Gloria Reményi
„Ein großes Faschismus-Museum“, „das Schulklassen, Schaulustige, Fans sowie Touristen aus der ganzen Welt anziehen soll“: Das war die „Vision“ dreier Gemeinderatsmitglieder der Stadt Rom aus den Reihen der Fünf-Sterne-Bewegung. Kürzlich reichten sie einen Antrag für die Errichtung eines solchen Museums in der italienischen Hauptstadt ein. Und nahmen ihn wieder zurück, nachdem antifaschistische Organisationen mit Empörung reagierten und schließlich auch Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi (Fünf Sterne) sich entschieden davon distanzierte.
„Der Faschismus kann nicht musealisiert werden. Der Faschismus ist noch nicht vorbei“, schrieb der Historiker Francesco Filippi in der italienischen Onlinezeitschrift MicroMega. Das Museum hätte nur das Narrativ begünstigen sollen, nach dem der Faschismus auch Gutes geleistet hätte, so Filippi weiter. Roms antifaschistische Organisationen plädierten in einer Erklärung für ein „Museum über die Verbrechen des Faschismus“. Ansonsten wäre ein Museum höchst gefährlich für ein Land, „in dem man sich nicht dafür schämt, Mussolini zu zitieren und sich sogar Parteien formieren, die sich ausdrücklich auf den Faschismus berufen und trotzdem nicht aufgelöst werden“.
Im heutigen Italien wird der historische Faschismus schon lange einer anhaltenden Normalisierung unterzogen. Allein dieser August lieferte dafür nicht wenige Beispiele. Roms Präfektur weigerte sich etwa, die Zwangsräumung der seit 17 Jahren illegal besetzten Zentrale der neofaschistischen Partei CasaPound endlich anzugehen. Die Familie Mussolini forderte, dass die Familienkrypta, in der sich die Gebeine des Diktators befinden, zum öffentlichen Mausoleum gemacht wird. Und Lega-Politiker Antonio Calligaris, Mitglied des Regionalrats von Friaul-Julisch Venetien, beschränkte sich weniger auf Symbolisches. Er sagte, er würde, falls nötig, auf Migrant*innen schießen lassen.
Carla Nespolo, heutige Präsidentin der 1944 gegründeten antifaschistischen Nationalen Vereinigung der Partisanen Italiens (ANPI) kritisierte in der Tageszeitung La Repubblica das „ohrenbetäubende Schweigen der Regierung“ zu den besagten Vorfällen.
Dass die Leichtigkeit, mit der man in Italien den Faschismus verherrlicht, verharmlost und reproduziert, von einer mangelnden Geschichtsaufarbeitung herrührt, steht für viele Historiker*innen fest. Francesco Filippi veröffentlichte kürzlich in Italien ein viel beachtetes Buch mit dem Titel „Aber warum sind wir noch Faschisten?“. Er schreibt von den blinden Flecken im Geschichtsbild. Und auch über das selbstentlastende, im italienischen Film stark propagierte Narrativ der „anständigen Italiener*innen“ („italiani brava gente“), das mit der mangelnden Defaschistisierung im Nachkriegsitalien eng verknüpft ist.
Von dieser Prämisse scheint auch das neue Buch des Journalisten und Italienkenners Jens Renner auszugehen. Seine Abhandlung „Neuer Faschismus? Der Aufstieg der Rechten in Italien“ befasst sich mit der rasanten Rechtsentwicklung der letzten Jahre und betont dabei besonders die historisch-politischen Kontinuitäten. Demnach hat die Normalisierung im öffentlichen Diskurs lange vor dem Aufstieg Matteo Salvinis angesetzt und diente vielfachen Interessen.
Das Italien der Nachkriegszeit kannte keine Nürnberger Prozesse. So stimmte der frühere Justizminister und Sekretär des Partito Comunista Italiano, Palmiro Togliatti, 1946 einer weitgehenden Amnestie zu, mit der faschistischen Verbrechern Straffreiheit garantiert wurde. Faschistische Beamte wurden zum Wiederaufbau des Staates herangezogen. Im gleichen Jahr, während die Assemblea Costituente den Faschismus als Straftat in der Verfassung verankerte, wurde zudem der Movimento Sociale Italiano (MSI) gegründet. Die offen neofaschistisch agierende Partei befand sich zwar außerhalb des sogenannten „Verfassungsbogens“, wurde aber durch die Democrazia Cristiana geschützt und somit gefördert.
Der offene Tabubruch kam 1994 mit dem ersten Wahlsieg Silvio Berlusconis, der mit dem in Alleanza Nazionale umgetauften MSI unter Gianfranco Fini koalierte. Das, was sich dann unter den drei Regierungen Berlusconis vollzog, bezeichnet der Historiker Nicola Tranfaglia als „autoritären Populismus“. Bekannt wurde diese als Strategie der neuen Rechten, als 1981 ein Papier der Geheimloge Propaganda Due um den Altfaschisten Licio Gelli beschlagnahmt wurde. Es propagierte die Unterwanderung der staatlichen Institutionen. Zu den Mitgliedern der Loge gehörte auch Berlusconi.
Die radikaleren Faschisten unter Giorgia Meloni befinden sich gerade im Aufschwung. Ihre Partei Fratelli d’Italia sammelte den radikaleren Flügel des alten MSI ein, dem Finis Kurs zu moderat war. Doch auch der sogenannte Salvinismus sieht sich unverhohlen in direkter Kontinuität der alten Rechten. Salvini ist offen EU-feindlich und agiert rassistisch. Als Chef der Lega schaffte er es in die Koalition mit den Fünf Sternen und war Italiens Innenminister 2018/2019. Salvini nimmt bewusst rhetorisch-symbolische Anleihen bei Duce und Ventennio, die als unverhohlene Signale an neofaschistische Gruppen und Parteien zu verstehen sind. Über Social Media hat er sehr erfolgreich seine Propagandamaschine aufgebaut. Ihm wird eine gewisse Nähe zur italienischen Mafia nachgesagt, aber auch zur russischen Rechten und zu Wladimir Putin gibt es freundschaftliche Beziehungen.
Die prominente italienische Schriftstellerin Francesca Melandri brachte es kürzlich in einem Interview auf den Punkt. Sie kritisierte nicht nur Salvini, sondern bemängelte vor allem die klare Abgrenzung der jetzigen Regierung gegenüber den Positionen der Neuen Rechten: „Es braucht die inhaltliche Auseinandersetzung, man muss den Faschismus in dieser Person oder in ihrem Programm bekämpfen. Den Faschismus einfach den anderen anzuhängen, ist eine wunderbare Ausflucht, um sich der Auseinandersetzung mit der italienischen Geschichte nicht selbst zu stellen. Der Faschismus ist eine Angelegenheit des ganzen Landes, nicht nur der Rechten.“Die somalisch-italienische Autorin Igiaba Scego fordert, insbesondere in Schulen und im öffentlichen Raum „eine antifaschistische Bildung“ zu betreiben. Etwa Street Art, um der Opfer des italienischen Kolonialismus und des antifaschistischen Widerstands zu gedenken.
In Rom wurde kürzlich immerhin auch eine Namensänderung einer sich im Bau befindenden U-Bahn-Haltestelle durchgesetzt. Aktivist:innen erreichten, dass sie nun nach dem somalisch-italienischen Widerstandskämpfer Giorgio Marincola benannt wird. Marincola wurde 1945 im Fleimstal von Nazis ermordet. Nun wird er auch öffentlich als Teil der italienischen Resistenza erinnert.
Jens Renner: „Neuer Faschismus? Der Aufstieg der Rechten in Italien“. Bertz + Fischer, Berlin 2020, 160 S., 8 Euro
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