Fest der Bewegungsextremisten

Die World Games, das Fest der nichtolympischen Sportarten, haben über eine halbe Million Zuschauer angelockt – und bewiesen, dass Bedarf an mehr besteht. Zum Beispiel an einem Sportfest der Nicht-World-Games-Disziplinen

DUISBURG taz ■ Der letzte Sieger kam aus Polen. Er gewann die abschließende Casting-Disziplin. Casting ist nicht Vorspielen fürs Fernsehen, sondern Angelrutenathletik. Mal Ziel-, mal Weitwerfen. Solche Sachen halt. Und wie der Wettkampfmoderator sagte, sei „Casting schon immer, also seit 1981, pausenlos bei den World Games dabei“. Wlodzimierz Targosz jedenfalls stand im Nieselregen des Sonntagabends auf einer Fußballwiese der Sportschule Wedau auf einem Podestlein und warf das kleine Gewicht an der langen Angelschnur in „Fliege weit, Einhand, Männer“ auf 58,71 Meter. Respekt. Jubel. Nationalhymne. Abgang.

Früher waren die Menschen biederer. Da reichte reichlich Schmierseife, um aus schwitzigem Sporteln lustiges „Spiel ohne Grenzen“ zu machen. Heute ist die Palette abgedrehter und kurioser Disziplinen so schillernd bunt wie die gesamte Spaßsportveranstaltung World Games. Das ging vom heftig umjubelten Tauziehen (was immerhin mal olympisch war), dem bedächtigen Ninepin-Bowling (womit das muffige Wort Kegeln umgangen war) über Rollkunstlauf und Squash bis zu Billard und Barfuß-Wasserski. Da spritzt und klatscht es bei fast 80 km/h – und die Aktiven beteuern, die Füße täten gar nicht weh.

Despektierlich sagt man Randsportarten. Oder DSF-Disziplinen, wo man nächtens gern Bewegungsextremismus zeigt. Die World Games zieren sich mit dem aufwertenden Etikett nichtolympisch, und so schafften es die Ruhrpott-Spiele in viele Zeitungen und im TV bis in die „Tagesschau“. Mal ernst, meist lobend, gern augenzwinkernd.

In der „Kraftzentrale“ des alten Stahlwerks Meiderich hatte das Sumo-Ringen einen würdigen, authentischen Ort gefunden. Eine seltsame Sache ist dieser japanische Nationalsport der Dickwanste in unseren Augen allemal: Der Gegner muss in den Sandring gestürzt werden oder, was häufiger ist, aus dem Terrain herausgedrückt. Das dauert oft kaum zwei Sekunden. Viel länger dauerte die rituelle Begrüßung, die rituelle Nervositätskompensation (putziges Fußscharren im Sand) und das rituelle Brüllen des Referees, das wie Anfeuerung wirkt. Der meiste Jubel wiederum brandete auf, wenn die dicksten Klöße so richtig plumpsten – wie jene ästhetisch grenzwertige 150-Kilo-Japanerin oder der dickste Athlet der Spiele, ein neuseeländischer Maori von 203 Kilogramm. Die Sumo-Bewerbe (ohne die Weltstars) zeigten aber auch, dass es auf dieser Welt für jeden Körper eine passende Sportdisziplin gibt. Am Ende gewinnt die Deutsche 138-Kilokugel Sandra Köppen Gold im Schwergewicht.

Oder Inlinehockey. Das ist wie Eishockey, nur ohne Eis und deshalb auf Rollschuhen, mit einer Art rollendem Pickelpuck und dem branchentypischen Finale USA gegen Kanada. Oder wie Wakeboard, eine Mischung aus Wasserski und Wellenreiten: Brett auf Wasser, Athlet drauf, an Seilwinde über den See gezogen, mit tollen meterhohen Flugeinlagen, aber auch nervig brüllenden Moderatoren: „Das ist Pauline, die hat Kraft wie drei Männer … yeah, man kann das Adrenalin jetzt riechen … jetzt muss sie nur noch das letzte Hindernis gut anreiten …“ Oder Beachhandball, eines der WG-Highlights, wo es gegebenheitsbedingt keine Dribblings gibt, wo schöne Tore doppelt zählen und deshalb frei stehend gern noch mal eine Pirouerette gedreht wird. Grandios. Einmal scheiterte eine Deutsche mit einem Aufsetzerwurf – am Sandhügel.

Geklärt war bald die Diskrepanz zwischen Zuschauererwartungen (500.000) und den vorher nur wenigen zehntausend verkauften Tickets. Auflösung: Allein 300.000 Neugierige besuchten die World-Games-Plaza, die Flaniermeile mit Kulturprogramm. Am Ende wurde die halbe Millionen Zuschauer sogar überschritten. Viele kleine Wettkampforte waren ausverkauft, ob Billard, Free Climbing, Faustball oder das spektakuläre Frisbee. Dennoch bleibt Duisburg ein Minus von mindestens 1 Million Euro. Auch zwei Dopingfälle gab es. Und einen Medaillenspiegel. Russland gewann vor Deutschland.

Und doch bot Duisburg nur einen kleinen Teil sportiver Möglichkeiten – das bewiesen schon die Demonstrationsspieler im asiatischen Takraw. Takraw ist eine Art Fußballtennis zu dritt auf einem Badmintonfeld ähnlich Volleyball zu Fuß mit elastischer Flechtkugel, vielen Fallrückziehern und eingesprungenen Bodyblocks am Netz. Schon die Hobbyspieler ließen staunen. Und daneben lief ein Video aus Malaysia: Sensationelle Ballakrobatik, artistisch, rasant. „Wahrscheinlich“, sagte eine faszinierte Besucherin, „gibt es auf dieser Welt noch tausende Spiele, von denen wir hier gar nicht ahnen, dass es sie geben könnte.“

Also denn: Die Welt braucht zusätzlich ein Sportfest der Nicht-World-Games-Disziplinen mit vielleicht Speed-Minigolf, Holzhacken, Tai-Chi, Angelrutenfechten, 32-Cards-Zocking (Skat). In Wortakrobatik (Sonderwertung Funktionäre) wurde in Duisburg schon Gold vergeben – an den Präsidenten des WG-Weltverbandes für sein Selbstlob: „Morgens haben wir prozentual oft mehr Publikum gehabt als bei den Frühveranstaltungen der Olympischen Spiele in Athen.“

BERND MÜLLENDER