Abschiebecharter nach Kabul geplant

Trotz Sicherheitsbedenken etlicher Außenministerien und des UN-Flüchtlingskommissariats wollen mehrere EU-Länder jetzt einige Dutzend Flüchtlinge nach Afghanistan zurückschicken – praktischerweise gleich gemeinsam im selben Flugzeug

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

„Wir empfehlen, nur in unbedingt nötigen Fällen nach Kabul und auf gar keinen Fall in andere Teile von Afghanistan zu reisen“, schreibt das Foreign Office in London auf seiner Homepage. „Von allen Reisen in dieses Land raten wir förmlich ab“, ist auf der Homepage des Ministère des Affaires Etrangères in Paris zu lesen. „Wer trotzdem reist, muss mit einer Gefährdung durch terroristische Anschläge rechnen“, warnt das Auswärtige Amt. Der UN-Flüchtlingsrat UNCHR warnte im April diesen Jahres: „Von stabilen Verhältnissen in Afghanistan kann keine Rede sein.“

Trotz dieser unzweideutig beschriebenen Sicherheitslage schickten sich gestern Mittag mehrere europäische Länder an, ein Flugzeug mit unfreiwilligen Reisenden nach Afghanistan zu füllen. Nach Informationen von Flüchtlingsorganisationen in London und Paris wollen die Regierungen mehrere Dutzend afghanische Flüchtlinge und Papierlose aus Europa nach Afghanistan zurückschicken. Der gemeinsame Abschiebecharter, an dem nach französischen Information auch Deutschland beteiligt sein soll, sei für den Anfang dieser Woche geplant. Gegenüber der Zeitung Libération bestätigte das Pariser Innenministerium die Kollektivabschiebung. „Die Maßnahme basiert auf einer europäischen Entscheidung, an der auch sozialistische Regierungen beteiligt sind“, ergänzte das Ministerium.

Tatsächlich stammt die Idee, die bereits in den 90er-Jahren praktizierten kollektiven Abschiebeflüge wieder neu zu beleben, von dem spanischen Innenminister José Antonio Alonso. Am 4. und 5. Juli stimmten seine Kollegen aus den fünf größten EU-Ländern – Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien – dem Vorgehen bei ihrem „G-5-Treffen“ im ostfranzösischen Evian-les-Bains zu. „Der erste Flug geht in wenigen Tagen los“, erklärte der italienische Innenminister Giuseppe Pisanu bei der abschließenden Pressekonferenz.

Seither laufen offenbar in verschiedenen Ländern Vorbereitungen, um ein Flugzeug nach Kabul zu füllen. Unterschiedliche Flüchtlingshilfsorganisationen – darunter die Anti-Deportation Campaigns in Großbritannien und die kirchennahe Cimade in Frankreich – haben in den vergangenen drei Wochen eine Zunahme von Razzien und gezielten Verhaftungen von Afghanen beobachtet. In Frankreich wurden auch „Passierscheine“ beim afghanischen Konsulat beantragt. Seit Anfang der Woche appellieren die Hilfsorganisationen, unterstützt von linken französischen Parteien und Gewerkschaften, an die Regierungen ihrer Länder, die Abschiebepläne „umgehend einzustellen“. Gestern Abend organisierten sie vor dem Sitz des französischen Premierministers eine Kundgebung gegen die Abschiebungen.

Jean Pierre Alaux, von der französischen Gruppe GISTI, die seit Jahren afghanische Flüchtlinge in Frankreich betreut, schätzt, dass gegenwärtig mehrere zigtausend Afghanen ohne Papiere durch Europa irren. Rund 200 bis 300 kämen jede Woche neu hinzu. Die meisten dieser Flüchtlinge sind jung – rund 20 Prozent sind minderjährig – sie sind männlichen Geschlechts und stammen aus eher städtischen Milieus. In vielen Fällen haben ihre Familien alles verkauft, um die jungen Männer nach Europa in Sicherheit zu bringen. In Europa angekommen, werden die jungen Afghanen, die nirgendwo Asyl bekommen, oft zu Obdachlosen. In Ermangelung jedweder behördlicher Unterstützung hängen sie oft allein von den „Ratschlägen“ von Schleppern ab. Bis vor kurzem rieten die ihnen zu einer Weiterflucht nach Großbritannien. Gegenwärtig nennen sie Finnland als heißen Tipp.