berliner szenen: Auffällig unauffällige Moves
Es ist ja oft so: Da fällt uns ein Phänomen jahrelang nicht auf, doch ab dem Moment, da wir zum ersten Mal darauf gestoßen werden, sticht es uns auf einmal ständig ins geschärfte Auge. So erzählt ein Bekannter, dass er vom Fenster aus gesehen hatte, wie eine Frau mit Hund sich kurz umblickte, um dann einen vollen Hundekotbeutel elegant aus dem Handgelenk zwischen zwei parkende Autos zu schleudern. Er sei dann auch gleich die Treppe runter und ihr hinterher. Freundlich zur Rede gestellt, habe sie alles eingesehen und Besserung gelobt.
Nur zwei Tage später geht direkt vor meiner Haustür eine junge Frau mit Hund an mir vorüber. Was mir bis vorgestern nie aufgefallen wäre, durchschaue ich jetzt auf Anhieb: ihre verstohlene Handbewegung, diesen auffällig unauffälligen Move, und tatsächlich liegt da ein schwarzes Tütchen zwischen den Autos.
Was soll das sein: eine Protestperformance gegen die Hundekackejustiz? Ich verstehe es nicht. Es ist ja nicht mutig. Robin Hood, Michael Kohlhaas, Don Quijote – alles fantastische Jungs, die ihre Vollmeisen stolz und frei fliegen ließen. Die Beutelbescheißer hingegen meiden die Konfrontation. Sie heben den Hundekot sogar vorher auf, eben weil sie das Licht der Zivilgesellschaft scheuen. Dazu ist es nicht mal bequem, denn der nächste Abfallkübel befindet sich auch hier in Sichtweite.
Das Ganze erinnert mich daran, wie ich als kleiner Junge, anstatt mir nach dem Klogang die Hände zu waschen, im Bad lange das Wasser laufen ließ und auch danach noch ausharrte, um vor eventuell hinter der Tür lauernden Schnüfflern das Abtrocknen der Hände zu simulieren – eine Paranoia wie Stalin. Damit mein Alibi auch wasserdicht war, dauerte der Fake doppelt so lange, als wenn ich mich wirklich gewaschen hätte. Ich brauche einen Hund. Uli Hannemann
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