Zungenverknotungen und Kirmeskapelle: Amewu rappt poetisch, Marco Tschirpke könnte notfalls auch das

Man konnte das zwischenzeitlich ja allzu leicht vergessen, dass es im Rap eigentlich um den verbalen Ausdruck geht. Und nicht in erster Linie darum, ein paar sich bloß leidlich reimende Worte zu bellen, böse zu gucken und Eltern zu erschrecken. Nein, Rap kann auch Poesie sein, so wie bei Amewu.

Der 1983 geborene und in Charlottenburg aufgewachsene Rapper beweist schon seit längerem, dass es im HipHop-Geschäft nicht notgedrungen hinderlich sein muss, schon mal eine Uni von innen gesehen und sich dort sogar mal in das eine oder andere Philosophieseminar verlaufen zu haben. Das kann man auch auf seinem zweiten Album „Leidkultur“ wieder hören. Man kann es sogar noch besser hören als auf seinem Erstling „Entwicklungshilfe“, auf dem Amewu in einem solch höllischen Tempo seine Texte vortrug, dass manche Silbe verschluckt wurde und öfter auch mal der Inhalt verloren ging. In der Branche, die dem Wettbewerbsgedanken bekanntlich prinzipiell zugeneigt ist, heißt dieses Rappen in doppelter Geschwindigkeit Doubletime, und Amewu gilt als Großmeister dieser Disziplin.

Auf „Leidkultur“ aber setzt er diese sehr spezielle Fähigkeit des kunstvollen Zungeverknotens nur noch selten ein, so im Song „Training Day“. Ansonsten lässt er den Worten und den Reimen mehr Platz, um sich zu entfalten. Und das ist ein großes Glück, denn es gibt hierzulande nicht viele Rapper, die so geschickt mit Wortsinn und Bedeutungsverschiebungen spielen, die alte Metaphern allzu wörtlich nehmen und im nächsten Atemzug neue konstruieren, die sich die großen Fragen nach dem Leben und dem Sinn, dem Tod und der Liebe stellen, die aber auch einfach mal nur einen kurzen Satz hinstellen können, der gerade in seiner Schlichtheit schön ist: „Ich wär’ so gern zu zweit, doch die Entfernung ist so weit“.

Allerdings: Derselbe Satz würde, vorgetragen von Marco Tschirpke, zum Lacher. Weil Sprache eben nicht nur etwas mit Worten, sondern auch viel mit Vortrag zu tun hat. Das gilt nicht nur für Rap-Songs, sondern auch für „Lapsuslieder 4“, das neue Album von Tschirpke. Auf dem sitzt der in Brandenburg an der Havel aufgewachsene Wahlberliner mal wieder gemütlich zwischen allen Stühlen. Bei ihm reimt sich das „Mädchen vom Ponyhof“ auf den „Philosoph“, klingt ein Stück nach Kirmeskapelle, das nächste nach Kunstlied und das übernächste ist bloß ein schlechter Witz: „Renny, du räumst den Magen auf? Warum nicht auch gleich mein Zimmer?“

Popmusik ist es ganz sicher nicht, auch wenn Tschirpke schon mal die dort verhandelten Klischees missbraucht. Klamauk auch nicht, obwohl Tschirpke die Brandenburg-Hymne durch den Kakao zieht. Ein Liedermacher ist er auch nicht, dazu ist er dann doch zu unernst – wenn er nicht gerade dann doch echt bösartig ernst wird. Das ist auch der Grund, warum er selbst auf die Comedy-Bühnen, auf denen er sich vornehmlich herumtreibt, nicht wirklich passen will. Eins ist sicher: Notfalls könnte Marco Tschirpke wohl auch rappen.

THOMAS WINKLER

■ Amewu: „Leidkultur“ (edit ent.), live 4. 8. beim Summer Jam im Yaam

■ Marco Tschirpke: „Lapsuslieder 4“ (Reptiphon/Broken Silence), live am 3. und 4. 8. zu Gast im Quatsch Comedy Club