Fünf wollten bomben

VON RALF SOTSCHECK

An den Anschlägen vom 21. Juli in London war offenbar ein fünfter Attentäter beteiligt. Die Londoner Polizei fand am Wochenende eine weitere Bombe, die im Gebüsch hinter einer Telefonzelle in Little Wormwood Scrubs, einer Straße im Westteil der Stadt, lag. Beamte demontierten das Telefonhäuschen und führten eine kontrollierte Explosion des Pakets durch. Es soll den gleichen Sprengstoff enthalten haben wie die Bomben in drei U-Bahnen und einem Bus, bei denen vorigen Donnerstag jedoch lediglich die Zünder explodierten, sodass im Gegensatz zu den Anschlägen zwei Wochen zuvor, als 56 Menschen starben, niemand zu Schaden kam.

Die Polizei hat unterdessen mehrere Überwachungskamerabilder der Attentäter veröffentlicht und zwei der vier gefilmten Männer identifizieren können. Es handele sich um den 24-jährigen Yasin Hassan Omar und den 27 Jahre alten Muktar Said Ibrahim, sagte der Leiter der Londoner Anti-Terror-Einheit, Peter Clarke. Von ihnen fehlt jedoch bisher jede Spur. Drei Männer werden zurzeit in einem Hochsicherheitspolizeirevier verhört. Sie sollen „im Zusammenhang mit den Anschlägen“ stehen. Zwei der Männer sind am Freitag in Stockwell verhaftet worden, der dritte am Sonntag in Tulse Hill, wo auch der Brasilianer Jean Charles de Menezes lebte, der am Freitag von Zivilpolizisten in der U-Bahn-Station Stockwell erschossen wurde, während er am Boden lag.

Am Sonntag demonstrierten brasilianische Immigranten vor dem Westminster-Parlament in London und forderten die Bestrafung der Polizisten. „Wir haben alle furchtbare Angst vor Bomben“, sagte Fausto Soares, ein Freund von de Menezes. „Aber nun haben wir auch furchtbare Angst vor der Polizei.“ Maria Ambrosia, die Mutter des Getöteten, sagte in ihrem kleinen Dorf im Süden Brasiliens, dass ihr Sohn bei seinem letzten Anruf London als sauberen Ort beschrieben habe. Es gebe dort keine Gewalt, niemand sei bewaffnet, nicht mal die Polizei, habe er gesagt.

Viele Fragen zu dem Vorfall in Stockwell bleiben offen. De Menezes lebte in einem Haus mit mehreren Wohnungen, das unter Polizeibeobachtung stand. Welche Informationen hatten die Geheimdienste über welchen Bewohner des Hauses? Warum ließen die Polizisten de Menezes in einen Bus einsteigen und zur U-Bahn-Station Stockwell fahren, wenn sie ihn für einen potenziellen Selbstmordattentäter hielten? Und wie konnte de Menezes wissen, dass es sich bei den zivil gekleideten Männern, die Pistolen zogen, um Polizisten handelte? Gestern wurde bekannt, dass das britische Visum von de Menezes abgelaufen war. Das erklärt womöglich, warum er von der Polizei davongelaufen war.

Trotz der tragischen Todesschüsse auf einen Unschuldigen befürworten in einer gestern veröffentlichten Umfrage 71 Prozent der Briten den Schießbefehl auf mutmaßliche Selbstmordattentäter. Und Londons Polizeichef Ian Blair teilte unverdrossen mit, dass die Polizei an ihrer „Shoot to kill“-Politik festhalten werde. Es können durchaus weitere Menschen durch Aktionen der Polizei im eskalierenden Kampf gegen den Terror sterben, sagte er.

Auf einer Konferenz in London, zu der die britische Polizei eingeladen hatte, verurteilten islamische Gelehrte aus der ganzen Welt am Sonntag die Anschläge als „unmenschlich und barbarisch“. Zwar kritisierten sie auch die Erschießung von de Menezes, fügten aber hinzu, dass sein Tod keinen Einfluss auf die Beziehungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen haben dürfe. Die Gelehrten forderten die Bevölkerung und die Medien auf, enger mit den Muslimen im Kampf gegen Extremismus zu kooperieren.

Die rechtsextreme National Front versuchte, die Konferenz zu stören. Sie riefen nahe der Zentralmoschee am Regent’s Park unflätige Beschimpfungen und schwenkten Plakate, auf denen stand: „Großbritannien für die Briten“.