Ex-Ministerin gegen Diamantenexpertin

taz geht wählen - die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Porträt. Wer kämpft um das Mandat? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Oberhausen

Oberhausen?Westliches Ruhrgebiet. 220.000 Einwohner. Oberhausen ist Deutschlands größte Stadt ohne Universität oder Fachhochschule. Drei Jahre nach der Pleite des größten lokalen Arbeitgebers Babcock ist die Centro-Stadt immer noch mitten im Strukturwandel. Elf Prozent beträgt die hiesige Arbeitslosigkeit. Der Wahlkreis ist seit Jahrzehnten ein SPD-Bunker: Die Genossen stellen alle direkt gewählten Abgeordneten der Stadt, den Oberbürgermeister und die Mehrheit im Stadtrat. Falls es bei der geplanten Bundestagswahl im Herbst soweit kommen sollte, dass die Sozialdemokraten Oberhausen verlieren, wäre bundesweit wohl selbst die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr zu schaffen. Zum Wahlkreis gehört allerdings auch die Stadt Dinslaken (Kreis Wesel). Und die ist CDU-regiert.Wer verteidigt den Wahlkreis?Wolfgang Grotthaus. Der 58-Jährige hält den Wahlkreis seit 1998 für die SPD. Das Arbeiterkind wurde geprägt vom Jahr 1968: „Staatliche Repression und mediale Gewaltphantasien, die in der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg und dem Attentat auf Rudi Dutschke gipfelten, machten meiner Generation blutig klar, dass Demokratie und Antifaschismus erkämpft werden müssen.“ Heute zählt der frühere Babcock-Betriebsrat zum konservativen SPD-Flügel, den so genannten „Seeheimern“. Wer will den Wahlkreis?Christdemokratin Marie-Luise Dött. Jahrgang 1953. Die Parlamentarierin sitzt seit 1998 im Parlament – die Wahlkreisverliererin rückte regelmäßig über die CDU-Landesliste in den Reichstag. Ihre Agenda: Schwarz-Rot-Gold. Politisch ist Dött schwarz, die Lieblingsfarbe ist Rot, beruflich verdient sie ihren Lebensunterhalt mit Gold. Sie ist nämlich Gemmologin (Edelstein-Expertin) und Diamantgutachterin. Die großen Außenseiter?Bärbel Höhn. 53. Grüne. Die im Mai abgewählte Landesumweltministerin will jetzt in die Bundespolitik. Als NRW-Spitzenkandidatin ihrer Partei wird sie sicher dem nächsten Bundestag angehören. Und dann? Höhn ist als neue Fraktionsvorsitzende im Gespräch. Vielleicht im Gespann mit einem gewissen Joseph Fischer. Das wäre immerhin praktizierte Friedenspolitik.Gerfried Bohlen (52) soll für die Linkspartei antreten. Der Familienvater arbeitet als „Berufsbetreuer“. Den Strukturwandel erklärte WASG-Mitglied Bohlen in der Lokalpresse für „gescheitert“. Er wolle „Produktionsarbeitsplätze“ schaffen, damit das Einkommen der Leute gesichert sei. Sein frommer Wunsch für die Zukunft: „Ich möchte, dass die Menschen wieder fröhlich sind und unbeschwert lachen können. Dass sie wieder die Kraft und die Möglichkeit haben, ihr Leben selber zu gestalten.“ Die taz-Prognose?Die SPD sackt bei den Erststimmen unter die 60-Prozent-Marke. Aber Wolfgang Grotthaus gewinnt den Wahlkreis klar. Marie-Luise Dött und Bärbel Höhn ziehen über die Liste in den Bundestag ein. Die Linkspartei schafft ein zweistelliges Ergebnis.

MARTIN TEIGELER