berliner szenen Esst mehr Tauben

Fich dick

„Fragile – handle with care“ steht auf meinem T-Shirt. Und so fühle ich mich auch, als ich mich auf die Wiese rechts von der Bühne im Tiergarten setze. Ich bin umrundet von hunderten von Menschen. Einige haben Picknickkörbe dabei. Viele trinken Bier aus Dosen, Flaschen oder Plastikbechern. All das ist eingebettet in den Soundtrack des heutigen Tages, der von der Bühne herüberschallt. Und der ist so unterschiedlich wie seine Zuhörer.

„Yvonne Catterfeld“ steht auf dem T-Shirt des kleinen Mädchens rechts von mir. „Guten Tag“ und „Wir sind Helden“ schmücken das rote Shirt eines Mittzwanzigers, der gerade seine Freundin küsst. Ein vierzigjähriger Mann streckt stolz seine Brust mit dem Queen-Logo in die Luft, als Green Day „We Are The Champions“ spielen. Eine Gruppe Jugendlicher links von mir liest sich gegenseitig aus einem gelben Reclamheftchen Immanuel Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ vor.

„Vergebung statt Rache, Dialog statt Krieg“ sitzt neben „Friss oder stirb Tour 2005“. „Harley Davidson“ prostet „Love music – hate fascism“ mit einem Dosenbier zu. „15 Jahre Netto“ kauft eine Trillerpfeife von einem Mann mit dem „Official Merchandising T-Shirt“ und schenkt sie einer Frau, deren Brust „Boom“ zur Schau stellt. „Heute ist ein guter Tag zu sterben“ diskutiert mit „No time to waste“ über offensichtlich existenzielle Dinge. „I’m up for it“ sitzt gelangweilt neben „I just did it“, und „Nie im Leben würde ich zu Bayern gehen“ klopft „Fich dick“ auf die Schultern. „Saufen gegen rechts“ und „Cold drinks inside“ teilen sich ein Mineralwasser.

Gegen Ende des Tages, als der letzte Ton des Konzertes verklingt, stehe ich hinter „Haltet Bochum sauber – esst mehr Tauben“. MAREIKE BARMEYER