Schlüssel zur Unendlichkeit

„Einstein on the beach“: Unter den hohen Kuppeln der Parochialkirche wird aus der Musik des Minimalismus der Gesang von Engelszungen, die die Sterne am Himmel durchzählen – oder doch nur die Daten eines Programms?

Selbst ein Funke unter Funken sein oder ein Tropfen im Meer: Die Räume, zu denen die Komposition „Einstein on the Beach“ von Philip Glass den Hörer in Beziehung setzen, sind ziemlich groß. In der Parochialkirche, in der die Oper vom Projekt der staatsbankberlin/operworks aufgeführt wird, kann der Zuhörer selbst zum Wanderer durch die flirrenden Flächen der Musik werden. In der Inszenierung von Berthold Schneider (Regie) und Veronika Witte (Raum) ist man nicht festgebunden: Kleine Podeste laden wie Insel zum Sitzen und Liegen ein, man kreuzt die Wege der Sänger, schließt sich kurz der Traube um das Orchester und den Dirigenten Ari Benjamin Meyers an, pendelt zwischen den Gerüsttürmen mit den Monitoren, auf denen Partitur und Libretto lesbar und die Gesichter der Sänger in Großaufnahme zu sehen sind.

Mit dieser Möglichkeit des ziellosen Schlenderns verliert die Musik ihre Strenge und Sprödigkeit und vor allem den Anspruch des Absoluten, mit der eine pausenlose Aufführung von vier Stunden Dauer schon ziemlich bedrohlich wirken kann. Als Philip Glass und Robert Wilson ihr gemeinsames Werk 1976 zur Uraufführung brachten, wertete man die postdramatische Oper zunächst als Erziehung zum Verzicht: auf Handlung, personifizierte Rollen, dramatische Form, emotionale Identifikation. Stattdessen sollte die Aufmerksamkeit auf Strukturen, das Generieren der Musik aus kleinsten Einheiten und die Ausdehnung im akustischen Raum gelenkt werden. Dieser Selbstreferentialität entsprechen die gesungenen Zahlen und Silben, die ständig das Metrum und die Töne ansagen, die sie singen. Nicht zuletzt der pädagogische Gestus, mit dem die beiden Meister Glas und Wilson alles Überflüssige und Konventionelle abstreifen wollten, gab ihrem Konzept einen elitären Anstrich.

Dabei muss man den Bau der Musik nicht verstehen, um mit ihrem An- und Abschwellen zu zerfließen, mit ihrem Auf- und Absteigen zu schweben und zu fallen. Denn die so genannten kleinsten Struktureinheiten, die der Komponist isoliert und in langen Ketten kopiert hat, sägen und geigen ausgiebig über die empfindsamsten unter den akustischen Rezeptoren. Die gewölbte Architektur der Parochialkirche tut ein Übriges, um gerade das Hymnische des Gesangs zu betonen, der nicht nur vom Wortsinn, sondern von allem Irdischen befreit scheint.

Diese Befreiung allerdings ist doppeldeutig und das stellt diese Inszenierung besonders heraus. Denn Bilder, Videoprojektionen, eingespeiste Texte und künstlerische Werke, die Teil der Operninstallation sind, betonen die Erzeugung des Materials in der Rechenmaschine und die technoide Herkunft der Strukturen. Die Sänger, die keinen Rollen und Personifizierungen mehr verpflichtet sind, wirken alles andere als frei. Anders als der ziellos schlendernde Besucher steuern sie punktgenaue Positionen an. In ihren stilisierten, uniformen Kleidung treten sie auf wie die Mannschaft eines Raumkreuzers. Sie umkreisen die Liegeinseln, verstreuen sich im Raum, formieren sich zum Feld und visualisieren in ihren Formationen die musikalischen Strukturen. Ihr Blick ist zudem an die Monitore geheftet und folgt den Angaben des Metrums, sodass es aussieht, als müssten sie sich dort ständig updaten.

Eigentlich passt das gut zusammen, die unendliche Räume der Musik und das ferngesteuerte Auftreten der zwölf Sänger. Allein, diese Stimmigkeit liegt etwas unterhalb des diskursiven Niveaus, auf das die Inszenierung eigentlich möchte. Die Einladung von bildenden Künstlern galt nämlich auch einer inhaltlicher Überarbeitung der Oper, die von staatsbankberlin/operaworks erstmalig in Berlin gespielt wurde, in der Staatsbank. Ihr utopischer Gehalt sollte diesmal ausgebaut werden, um ein kritisches Nachdenken über Gen- und Biotechnologie und den Wunsch, das Leben zu verlängern, anzustoßen. So kann man zwischendurch Fragebögen zu Organspenden, Transplantation und der Konstruktion optimal angepasster Lebewesen ausfüllen oder sich Fantasien über Monster aus dem Labor hingeben. Das bleibt freilich eine marginale Nebenbeschäftigung, die der Süße und Wehmut des gesamten Klanges nur wenig hinzufügt.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Einstein on the beach“. Parochialkirche in der Klosterstraße, 27., 29. + 30. Juli, 1., 2., 4., 5. August, 20 Uhr