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Richard im Homeoffice

Auch die Bayreuther Richard-Wagner Festspiele weichen nach einem Konzert ins Netz aus

Von Joachim Lange

Es hätte so spannend schön werden können! Ein neuer Ring stand ins Haus. Auf den Oberdekonstruierer Frank Castorf, dessen Version manche verfluchten, viele andere aber für einen genialen Wurf hielten, sollte mit Valentin Schwarz ein Nachwuchsregisseur folgen, den bislang niemand auf dem Schirm hatte. Dazu die hintersinnigen witzigen Meistersinger von Barrie Kosky, das Lohengrin-Schwelgen im Bühnen-Blau von Malerstar Neo Rauch und vor allem der bejubelte „Tannhäuser“ von Tobias Kratzer. Alles mit Besetzungen auf Festspielniveau. Sogar das Wetter wäre vergleichsweise moderat gewesen fürs nicht klimatisierte Festspielhaus mit der inzwischen wieder schmucken Fassade. Nichts von alledem konnte stattfinden.

Als Katharina Wagner die Festspiele bereits Ende März schweren Herzens das erste Mal seit 1951 absagte, war endgültig klar, wie ernst die Lage im Lande ist und wie fest das Virus alle und alles im Griff hat! Schwer erkrankt konnte die mittlerweile langsam wieder genesende Chefin die Festspiele nicht selbst auf Krisenmodus umzustellen.

Als erfahrener Veteran des Geschäfts wurde Hans-Dieter Sense aus dem Ruhestand als Vertretung an die Spitze des Unternehmens beordert, bis Katharina wieder einsatzfähig ist. Vielleicht hätte ja die für Neuerungen Aufgeschlossene die digitalen Ersatzfestspiele noch beherzter auf den Weg gebracht. Aber für die Wagnerianer, die gerne in Erinnerungen schwelgen oder es einfach nicht lassen können, wird dennoch einiges geboten. Vieles frei zugänglich, manches für einen kleinen Obolus.

Ein trotziges, live produziertes „Fanget an“ zum traditionellen Eröffnungstermin am 25. Juli genau um 16 Uhr gab es zwar nicht auf dem Grünen Hügel, sondern unten in und vor der Villa Wahnfried, also bei Richard daheim. Zwei Publikumslieblinge der letzten Jahre – Klaus Florian Vogt und Camilla Nylund – erinnerten als Stolzing und Eva an die eigentlich als Eröffnung vorgesehenen „Meistersinger“. Bei Kosky spielt der erste Akt im Salon der Villa Wahnfried. Diesmal wurde dort musiziert und das Ganze für 400 Zuschauer ins Freie übertragen. Musikdirektor Christian Thielemann ließ mit einem 14-köpfigen Miniorchester das Siegfried-Idyll und Camilla Nylund die Wesendonck-Lieder folgen. Ein gutgemeintes Statement – das Publikum vor Ort hatte den Genius Loci – die Rundfunkhörer definitiv die bessere Akustik auf ihrer Seite.

Mittlerweile findet man im Programm der digitalen Ersatz-Festspiele auch den Ring. In gleich drei Versionen. Frei zugänglich ist der von Barenboim und Kupfer von 1988 in der Mediathek von 3sat, auf br-klassik.de und im Webauftritt der Bayreuther Festspiele. Ein besonderer Leckerbissen wird die Ring-Nacht am 7. August ab 20.15 Uhr in ARD-alpha und gestreamt über BR-Klassik Concert: Der Jahrhundertring von Patrice Chéreau und Pierre Boulez aus dem Jahre 1976 wird da erstmals wieder im Free-TV zu erleben sein! In einer Kooperation mit der Deutschen Grammophon gibt es (für 4,90 Euro pro Vorstellung) ein komplettes Festspielersatzprogramm, bei dem am 8., 9., 12. und 13. August unter anderem auch der Castorf-Ring zu sehen ist.

Eine audiovisuelle Erkundung des Festspielhauses und des Werks von Wagner bietet der dänische Komponist und Performance-Künstler Simon Steen-Andersen mit „The Loop of the Nibelung“ (im Streaming­angebot BR-Klassik Concert und der Website der Festspiele). Einblicke neben und zur Musik Wagners bietet eine Gesprächsreihe „Hier gilt’s der Kunst“ unter anderem mit Daniel Barenboim, Barrie Kosky, András Schiff und Thea Dorn. Dazu der „Diskurs Bayreuth“, (ab 7. August auf BR-Klassik Concert) und weitere Schätze aus dem Archiv. Der Blick ins Netz Richtung Bayreuth lohnt sich jedenfalls.

Weitere Infos: www.bayreuther-festspiele.de

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