verpasst?
: Viel Ego, wenig Mut

„Das Phantom von Corleone“, Di., 23.00 Uhr, ARDBernardo Provenzano wurde in der gleichen Nacht geboren, in der Adolf Hitler die Macht übernahm. Mit dieser Bemerkung wird „Das Phantom von Corleone“ eingeführt. Provenzano kann also nur eine Bestie sein.

40 Jahre ist er schon verschwunden und wird durch diesen Film, für den Dokumentarfilmer Marco Amenta nach zehn Jahren in seine sizilianische Heimat zurückgekehrt ist, auch keine Sekunde früher gefasst werden, denn – auch wenn er dies durch nachgestellte Szenen und den Untertitel suggeriert – Amenta ist keineswegs „dem letzten Mafia-Paten auf der Spur“, sondern höchstens dessen Verfolgern. Dabei überbieten sich der Autor, ein dicklicher Johnny-Depp-Verschnitt, und der Chefermittler der sizilianischen Polizei in ihrer Selbstgefälligkeit.

Allein dass der prätentiöse Amenta andauernd im Bild ist, mal mit, mal ohne grünen VW-Käfer, aber immer mit schwarzem Mantel und brauner Aktentasche über der Schulter, ist eine Frechheit dem Zuschauer gegenüber, ein Offenbarungseid: Eigentlich gibt’s nichts Spannendes zu filmen, nur zweckoptimistisches Gelaber von Staatsanwälten, Polizisten und einem Mafiaanwalt, also stellt man rasante Polizeieinsätze nach, filmt sie mit Infrarotkameras und lässt den Autor Handlung simulieren. So bittet Amenta einen alten Archivar um Einsicht in Provenzanos Polizeiakte. „Ich dürfte Sie das eigentlich gar nicht lesen lassen“, sagt der, „aber ich zeige es Ihnen.“ In einer der nächsten Szenen schlendert Amenta, die streng geheimen Ermittlungsakten studierend, einen sizilianischen Strand auf und ab.

Das ist so schockierend sinnfrei, dass man sich im Programm von RTL2 wähnt. Dies verstärken Amentas reißerische Fragen aus dem Off: „Ist dieser Mann ein Ungeheuer? Oder von welchen Werten wird er geleitet?“

Der Film lässt auch Provenzanos Anwalt seine Schuldgefühle ausbreiten. Er hat dessen alter Mutter, die ihm ihre Ersparnisse für die Verteidigung ihres Sohnes angeboten hatte, versprochen, dass sie Provenzano noch mal umarmen kann. Jetzt ist Mama tot und Sohnemann immer noch auf der Flucht.

Dokumentarfilmer Amenta wittert eine Verschwörung. Die Frage, wie es sein kann, dass ein flüchtiger Mafiaboss mehr als 40 Jahre lang unentdeckt bleibt, stellt sich natürlich wie von selbst, wäre aber Thema für einen eigenen Film, zu dem Amenta zwar nicht das Ego, aber offenbar der Mut fehlt. Er belässt es lieber bei dunklen Andeutungen über mafiöse Verwicklungen von Politikern. Sein 75-minütiger Offenbarungseid, den Opfern der Cosa Nostra gewidmet, endet mit der verblüffenden Feststellung: „Die Mafia existiert weiter.“

DAVID DENK