die woche in berlin
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Da waren es schon drei: Prominente Berliner Sozialdemokraten zieht es in den Bundestag. Die Schule ging auch wieder los. Und die AfD-Fraktion hat schon wieder ein Problem.

Chaostage bei der Berliner SPD

Müller, Chebli, Kühnert: Alle wollen in den Bundestag

Ein Jusochef verdrängt den Regierungschef: So was kann es auch nur in der Berliner SPD geben. Schon in der Vorwoche hatte Kevin Kühnert, der letzte Trumpf der So­zial­demokraten auf Bundesebene, bekannt gegeben, für den Bundestag zu kandidieren – ausgerechnet im Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg, in dem der Regierende Bürgermeister beheimatet ist. Am Montag zog Müller nach und weg. Wohin? Nach Charlottenburg-Wilmersdorf. Dort hofft er auf Asyl und ein Plätzchen zum Direktkandidieren. Ob er zusätzlich auf einen sicheren Listenplatz seiner Partei hoffen darf, steht noch in den Sternen.

Es geht wieder mal drunter und drüber bei der Berliner SPD. Gut möglich, dass Müller mit der Bekanntgabe seiner Entscheidung, in den Bundestag zu wollen, gern noch eine Weile gewartet hätte. Wer will schon gern als Lame Duck dastehen, mehr als ein Jahr vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus? Nun hat ihn Kevin Kühnert zu eben jener gemacht.

Das zeigt sich sogleich daran, dass am Donnerstagabend Müllers Staatssekretärin Sawsan Chebli ebenfalls ihre Bewerbung um die Direktkandidatur in Charlottenburg-Wilmersdorf erklärte. Eine Kampfkandidatur gegen den Regierungschef um eine Wahlkreiskandidatur. Sollte sich Chebli Ende des Jahres tatsächlich durchsetzen, wäre die lahme Ente tot.

Aber das ist beileibe noch nicht alles aus dem Komödienstadl namens SPD. Am Donnerstag tourte sich Familienministerin Franziska Giffey warm – der letzte Trumpf der SPD auf Landesebene. Sie wird wohl im Dezember zur Spitzenkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus gewählt und besuchte am Donnerstag eine Polizeischule. Die Botschaft: Die SPD lässt die Polizei nicht im Stich. Zuvor hatte Innensenator Andreas Geisel, auch SPD, wiederholt deutlich gemacht, gegen rechtsradikale Tendenzen in der Berliner Polizei vorgehen zu wollen. Offenbar will die 15-Prozent-Partei noch jeden politischen Spagat mit dem Hinweis entschuldigen, sie sei eine Volkspartei.

Ach ja, Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci wird nicht mehr fürs Abgeordnetenhaus kandidieren. Dass sie noch mal Senatorin geworden wäre, war ohnehin unwahrscheinlich; das gilt auch für Bildungssenatorin Sandra Scheeres. Wäre Berlin nicht die Hauptstadt von Deutschland, sondern irgendein Transformationsland im Osten Europas (oder vielleicht auch Frankreich), wäre Innensenator Geisel gut beraten, zu überlegen, ob er nicht eine eigene Partei oder Sammlungsbewegung gründet. 15 Prozent würde das einzige politische Schwergewicht, das die Berliner SPD noch hat, ganz bestimmt auch ohne das Label mit den drei Buchstaben holen.

Die Linke kann sich derweil die Hände reiben. Selbst wenn die Nachfolge für Bausenatorin Katrin Lompscher eine B-Lösung sein sollte, wird das bei dem lustvollen Getöse, mit dem die SPD in den Abgrund stürzt, kaum auffallen. Und die Grünen müssen nur zusehen, dass sie ihre Spitzenfrauenfrage möglichst lange hinausziehen. Egal, welche es dann wird: Sie wird gute Chancen auf den Posten einer Regierenden Bürgermeisterin haben.

Uwe Rada

politik

Und die Grünen müssen nur zusehen, dass sie ihre Spitzen-­ frauen­frage möglichst lange hinaus­ziehen. Egal, welche es dann wird: Sie wird gute Chancen auf den Posten einer Regieren­den Bürger­meisterin haben

Uwe Rada über die Bundestagsambitionen bekannter SPDler aus Berlin

Das Prinzip Hoffnung muss man aushalten

Berlin wagt den Schulstart unter Corona-Bedingungen

Was weiß man eigentlich nach Woche eins des großen Corona-Schulversuchs mit mehreren zehntausend TeilnehmerInnen? Man weiß, ganz grundsätzlich, dass insgesamt die Zahl der Neuinfektionen in Berlin – wie erwartet – gestiegen ist, „vor allem im Kontext der verstärkten Testung von Reiserückkehrenden“, wie die Gesundheitsverwaltung mitteilt. Zugleich sank der Reproduktionswert, also die Zahl, wie viele Menschen eine infizierte Person ansteckt, in den vergangenen Tagen. Was zeigt, dass die Eingrenzungs- und Rückverfolgungsstrategie offenbar weiterhin funktioniert, und zwar trotz gestiegener Neuinfektionszahlen.

Was auch jeder erwartet hat: dass auch LehrerInnen und SchülerInnen unter den Corona-Neuinfizierten sein würden. Acht Schulen, verteilt über das Stadtgebiet, meldeten bis Donnerstag Coronafälle; ein Gymnasium in Treptow-Köpenick schloss vorsorglich für einen Tag das Schultor, um die Kontakte abzuklären, die eine infizierte Lehrkraft gehabt hatte.

Bisher ist das überschaubar. Das Vorgehen der Schulleitungen wirkt zumindest nach außen koordiniert, und die Kommunikation mit den Gesundheitsämtern und der Senatsverwaltung scheint zu funktionieren.

Aber da ist man auch schon im Bereich des Nicht-so-ganz-genau-Wissens. „Hoffentlich bleibt das alles erst mal so“ oder auch, die etwas skeptischere Variante, „Mal schauen, wie lange das gut geht“ waren wahrscheinlich die meistgesagten Sätze, die sich Eltern in den letzten Tagen zugeraunt haben. „Hoffentlich bleiben die Schulen offen, hoffentlich geht das gut.“

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat klargemacht, dass sie keine flächendeckenden Schulschließungen will, keinen zweiten Lockdown. Stattdessen Tests, Händewaschen und Maskenpflicht überall dort in den Schulgebäuden, wo sich Klassen und Lerngruppen begegnen. Die Abstandsregel ist aufgehoben, eine Klage von zwei SchülerInnen und deren Eltern hatte das Verwaltungsgericht am Montag im Eilverfahren abgewiesen. Begründung: Das Hygienekonzept der Senatsverwaltung sei ausreichend.

Die Landeselternvertretung, auch die Lehrergewerkschaft GEW sehen das anders. Manche forderten, Scheeres hätte ihren Plan B im Falle eines erneuten Lockdowns lieber gleich zum Plan A machen sollen, nämlich dass die Klassen weiterhin nur in halber Stärke in die Schule kommen – während für die andere Hälfte der Unterrichtszeit Homeschooling über digitale Lernplattformen angesagt ist.

Sollte es zum Plan B kommen, haben die MahnerInnen dann recht gehabt? Sie werden es behaupten, aber sicher wissen können sie es nicht. Auch halbe Klassen schützen nicht zwangsläufig vor einer „zweiten Welle“.

Insofern ist die Komplettöffnung der Schulen natürlich mutig, und bestimmt ist das Prinzip Hoffnung schwer auszuhalten. Klar ist aber auch, dass der Großteil der Berliner Schulen technisch überhaupt nicht in der Lage wäre (und viele LehrerInnen nicht willens), Scheeres’ digital ambitionierten Plan B vom Papier in die Praxis zu übersetzen.

Der Unterricht an öffentlichen Schulen könne derzeit „effektiv nur als Präsenzunterricht erfolgen“, hat übrigens auch das Verwaltungsgericht die Aufhebung des Mindestabstands begründet. So viel weiß man in Berlin. Anna Klöpper

AfD-Fraktion zerlegt sich weiter selbst

Aushängeschild Brinker tritt als Vizechefin der Fraktion zurück

Die AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, seit der Wahl 2016 zumindest formell schon von 25 auf 22 Abgeordnete geschrumpft, ist weiter dabei, sich zu zerlegen. Nach einer Fraktionssitzung am Dienstagabend erklärte Kristin Brinker ihren Rücktritt als stellvertretende Vorsitzende, bleibt allerdings Mitglied der Fraktion.

AfD halt, immer gut für einen Eklat? Eben nicht, denn das ist nicht irgendein Rücktritt. Frühere Ausschlüsse trafen Abgeordnete, die nicht unbedingt Leistungsträger der Fraktion waren. Das Zerwürfnis mit Brinker aber trifft die Frau, die der Fraktion am ehesten ein bürgerliches Gesicht gab – genau das, was die AfD anstrebt.

Der Hintergrund ist verworren und betrifft die Finanzen der Fraktion. Brinker und andere hatten auf eine Überprüfung gedrängt, die sich letztlich gegen Frak­tions­chef Georg Pazderski und seinen parlamentarischen Geschäftsführer Frank-Christian Hansel richtete. Neues Personal kam und ging oder musste gehen. Nun lässt sich Pazderski zitieren, Brinker habe von Manipulationen an dem Prüfgutachten gewusst. „Zutiefst erschüttert“ sei er über Vorfälle, die sich „monatelang im Verborgenenen“ abgespielt hätten.

Brinker wiederum bestreitet, dass es überhaupt eine Manipulation gab. Ihr Fazit: „Wie unter den gegebenen Umständen für den Rest der Legislaturperiode eine konstruktive Oppositionsarbeit der AfD-Fraktion möglich sein soll, ist derzeit vollkommen unklar.“

Für Außenstehende kommt das Ganze überraschend, weil sich rein vom Auftreten her Pazderski und Brinker ähneln: Beide sind umgänglich im Ton, verzichten im Parlament auf radikale Formulierungen und kommen nicht wie Frak­tions­kollegen spätestens im dritten Satz auf Flüchtlinge zu sprechen. Sie schaffen es sogar, dass ihnen Abgeordnete anderer Fraktionen zuhören. Das gilt vor allem für Brinker als finanzpolitische Sprecherin im Hauptausschuss, wo sie stets umfassend vorbereitet wirkt, vor Papieren voller Markierungen und Post-its sitzt und Fragen stellt, die ihr auch in der Finanzverwaltung des Senats Respekt verschafft haben.

Der Streit gipfelt zu einem Zeitpunkt, da die AfD-Fraktion eigentlich ihren größten Erfolg als Oppositionsfraktion feiern kann: Die parlamentarische Anfrage an den Senat, die letztlich dazu führte, dass Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher wegen teils nicht weitergeleiteter und versteuerter Aufsichtsratsbezüge zurücktrat, kam von Brinker – und nicht etwa von den anderen beiden Oppositionsfraktionen CDU und FDP.

Der Zerwürfnis samt Rücktritt überdeckt das nun. „Immer weiter so, AfD!“, könnte sich die politische Konkurrenz nun sagen und meinen, bis zur Abgeordnetenhauswahl in rund 13 Monaten werde sich die Fraktion samt der sowieso schon disharmonischen Partei komplett zerlegt haben.

Könnte sein – aber Beispiele aus anderen Bundesländern zeigen, dass selbst großer Streit nur wenig Einfluss auf die Umfrageergebnisse der AfD hat: In Baden-Württemberg steht die Partei sogar trotz einer Spaltung der Fraktion mit 12 Prozent weiterhin nicht viel schlechter da als bei der Wahl 2016 mit 15 Prozent. Das dürfte in Berlin kaum anders sein.

Stefan Alberti