Kunst im Frauenladen Paula Weißensee: „Den Mut zur Farbe kann man lernen“
In ihrer aktuellen Ausstellung gibt Gisela Stiller Einblicke in die Werke der letzten zwanzig Jahre – und schaut auf ihr 92-jähriges Leben zurück.
Stiller stellt in dem Frauenladen – ein Kiezprojekt des Frauenzentrum Paula Panke e. V. – ihre Kunst aus. An den Wänden hängen Ölgemälde, eher kleineren Formats, welche meist die Natur zum zentralen Thema haben: sumpfige Landschaften, abstrakte Blumenbeete oder ein Weg, von kahlen Bäumen gesäumt. Aus ihren Bildern spricht eine friedvolle Ernsthaftigkeit, die Farben leuchten in dunklen, kräftigen Tönen. In einem kleineren Raum, der sich anschließt, hängen fünf Aktzeichnungen und zwei Collagen. Auch ein Selbstporträt ist dabei: Gisela Stiller in einem blauen, hochgeschlossenen Pullover, den kritischen Blick leicht erhobenen Kinns zum Betrachter gerichtet.
„Mit der Kunst fing es an, da war ich noch ziemlich klein“, beginnt Stiller zu erzählen. Ihr Vater, ein Architekt aus Nordhausen in Thüringen, drückte ihr Bleistift und Papier in die Hand, wann immer sie während seiner Arbeitszeit ungeduldig wurde. Und so standen sie nebeneinander: Er zeichnete seine Entwürfe, sie Hexenhäuschen – „und manchmal natürlich auch eine kleine Hexe dazu“, sagt Stiller schmunzelnd. Sie träumte davon, ebenfalls Architektin zu werden.
Doch dann kam der Krieg, da war Stiller elf Jahre alt. Ihr Vater wurde Soldat. Das sei für sie und ihre Geschwister ein großer Schock gewesen. Die Mutter arbeitete viel und Stiller wurde früh selbstständig. Heute sagt sie: „Ohne den Zweiten Weltkrieg wäre mein Leben wohl ganz anders verlaufen.“ Anders, also: eine Karriere als Architektin, wie sie es geplant hatte.
Unter dem Titel „Gisela Stiller Malerei – eine Künstlerin aus Weißensee lädt ein“ kann noch bis zum 10. Oktober die Ausstellung mit Ölgemälden, Aktskizzen und Collagen im Frauenladen Paula Weißensee besucht werden. Die Räumlichkeiten befinden sich in der Langhansstraße 141 in Weißensee. Am 22. September gibt es um 19 Uhr die Gelegenheit, im Rahmen eines Künstlerinnengesprächs mehr über das Werk und Leben Gisela Stillers zu erfahren. (ask)
Hauptsache etwas Kreatives
Doch eine akademische Bildungsbiografie war im Ostdeutschland der Nachkriegszeit für sie, eine Tochter aus bürgerlichen Verhältnissen, nicht vorgesehen. Bei der Studienplatzvergabe wurden Kinder aus „Arbeiterfamilien“ bevorzugt. Also absolvierte sie eine Lehre zur Buchbinderin. „Hauptsache, etwas Kreatives lernen.“ Später konnte sie, als eine von vier Frauen ihres 32-köpfigen Jahrgangs, die Fachschule für Polygraphie in Leipzig besuchen und arbeitete viele Jahre in leitenden Funktionen in der grafischen Industrie.
Stiller ist in jeder Hinsicht eine emanzipierte Frau, deren Lebenslauf nicht dem Muster ihrer Generation entspricht. Geprägt durch die notwendige Selbstständigkeit in ihrer Kindheit und Jugend hat sie stets für eigenes Einkommen gesorgt, sich hochgearbeitet, ist mitunter Pfade auf ihr unbekannten Wegen gegangen – wie 1960, als sie sich beruflich gänzlich anderen Inhalten zuwandte und mit einer befreundeten Ärztin ein kommunales Rehabilitationszentrum zur Integration behinderter Menschen in Wirtschaftsbetrieben aufbaute. Anfangs waren es drei Personen, die dort zeitgleich lernten, schließlich 150. „Darauf“, sagt sie, „bin ich heute noch wirklich stolz.“
Stiller – eine Frau, die ihrer Zeit stets voraus gewesen ist. Vor dem Hintergrund ihrer Biografie ist eine Ausstellung im Frauenladen Paula Weißensee besonders passend. Er gehört zum Paula Panke e. V., der kurz nach der Wende in Pankow gegründet wurde, als die fortschrittliche gesellschaftliche Stellung der Frau in der DDR durch die Wiedervereinigung bedroht schien. Der Verein ist sozialer Treffpunkt sowie Beratungsstelle und organisiert und fördert soziokulturelle Projekte von Frauen. „Gisela ist für viele Frauen, die zu uns kommen, mit ihrem selbstbewussten und lebensbejahenden Wesen ein Vorbild“, sagt Christine Stenzel-Anhalt vom Frauenladen Paula.
Die Kunst war in ihrem bewegten, vielseitigen, bisweilen auch fordernden Leben für Stiller jedoch nie bloß eine Statistin am Rande der großen Bühne. Die Analogie von Malerei und Wesen Stillers zeigt vielmehr, dass die Kunst als Ausdruck ihrer Kreativität, ihres wachen Geistes, ihrer Haltung, ja, ihres Blicks auf die Welt seit jeher fester Bestandteil ihrer Identität ist.
An Farbe lange nicht rangetraut
Mit ihrem Renteneintritt 1988 wusste sie, dass sie sich fortan vollständig der Kunst widmen wollte. Dabei standen zunächst Skizzen im Vordergrund ihres Schaffens. „An die Farbe habe ich mich lange nicht rangetraut“, sagt sie. „Aber man kann den Mut zur Farbe lernen.“ Ihr halfen dabei Michael Kain und Achim Niemann, „meine Mentoren“.
Die beiden Künstler lernte sie im Jahr 2003 kennen, als sie nach Berlin zog und einen Sommerkurs der beiden besuchte. Sie waren es auch, die mit Niemanns Partnerin, Dr. Helga Adler, die Ausstellung für Stiller organisierten. Adler hat selbst viele Jahre beim Paula Panke e. V. gearbeitet. Sie sagt: „Ich finde die Bilder von Gisela einfach toll und finde, sie sind es wert, gezeigt zu werden.“
Dem stimmt auch Michael Kain zu: „Sie ist eine Bereicherung für jeden Kurs, das kann man schon so sagen. Viele ältere Menschen, die zu mir kommen, sehen die Malerei als Beschäftigung, als Zeitvertreib.“ Gisela Stiller aber gehe mit einer großen Ernsthaftigkeit daran und sei bereit, Kritik anzunehmen.
Niemann ergänzt: „Sie setzt aber auch nicht alles um, was wir ihr raten. Sie hat ihren eigenen Kopf, ist sehr eigenständig.“ Vor allem aber versuche sie niemals, jemanden nachzuahmen.
Auf Studienreise immer dabei
Wenn Niemann und Kain mit ihren Kursen kleine Studienreisen unternehmen, kommt Stiller mit – auch, wenn es auf den Zeltplatz geht. „Dann bucht sie sich einfach ein Hotel in der Nähe“, erzählt Kain.
Stiller lacht. Über ihre Zeit vor und nach 1988 sagt sie: „Ja, das erste Leben war erfolgreich und das zweite ist es auch.“
Ihr Rat aus bald hundert Jahren Lebenserfahrung lautet: „Nie aufhören.“ – Im Sinne von nie aufgeben? „Nein, das ist zu abstrakt“, sagt sie. Es gehe vielmehr darum, immer weiterzumachen, niemals stillzustehen: „Ich kann die Nähmaschine noch bedienen, also nähe ich noch. Ich kann noch Fahrradfahren, also fahre ich noch. Und: Ich kann noch malen. Also male ich noch.“
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