Osman Engin Die Corona-Chroniken
: Die Corona-Fondsgesellschaft

Foto: privat

Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Meine besten Freunde Ahmet, Hasan, Nedim und ich sind selbstverständlich sehr vernünftige und überaus intelligente Menschen. So ist es nur natürlich, dass wir uns die dringende Frage stellen, was denn mit der Witwe passieren wird, wenn einer von uns – Gott behüte – demnächst durch Corona das Zeitliche segnen sollte?

Die logische Folgerung ist, dass wir sofort eine Fondsgesellschaft gründen wollen, damit die zukünftige Witwe nicht am Hungertuch nagen muss.

Mein kommunistischer Sohn Mehmet, der seit Wochen gelangweilt zu Hause rumhockt, organisiert für uns sofort eine Video-Konferenz, nachdem wir uns bereit erklärt haben, dass auch die Kinder von dieser Fondsgesellschaft profitieren werden.

„Sehr edle Geste von euch, meine Herren“, werden wir von meinem Sohn gelobt.

Wir schauen uns gegenseitig über unsere Bildschirme stolz und überlegen an. In dieser schrecklichen Zeit, wo alle einfachen Kreaturen krampfhaft versuchen, mit allen möglichen Tricks das eigene Leben zu retten, da machen wir uns Gedanken, wie wir der Witwe unseres verstorbenen Kumpels ein schönes Leben bereiten können.

„Leute, so eine Fondsgesellschaft muss aber bis ins kleinste Detail perfekt ausgearbeitet sein. Ihr müsst zuerst einen Präsidenten bestimmen“, liest Mehmet aus dem Internet vor.

„Und natürlich auch einen Kassenwart. Der Präsident hat nur repräsentative Aufgaben. Der Kassenwart hingegen hat die Verfügungsgewalt über das ganze Geld, was in dem Fonds zusammenkommt.“

Wir schauen uns erneut gegenseitig an. Diesmal leicht verwirrt und schon etwas unsicher.

„Als Präsident schlage ich Osman vor“, ruft Nedim, als hätte er sich schon länger mit den Statuten befasst und gemeine Pläne geschmiedet.

„Mit seinem dicken Bauch und der randlosen Brille ist Osman geradezu prädestiniert zum Präsentieren. Er wird ein sehr guter Präsident sein, meine Freunde. Wir können uns überaus glücklich schätzen, so einen kompetenten Präsidenten zu bekommen.“

Am liebsten würde ich sofort aufspringen und ihm mitten ins Gesicht husten! Wenn ich gehe – soll der doch mitkommen, der Verräter!

„Und als Kassenwart“, fährt Nedim fort. Wir hängen an seinen Lippen. „Und als Kassenwart schlage ich natürlich mich vor. Wie ihr alle wisst, konnte ich schon immer gut mit Geld umgehen. Meine Freunde, ihr könnt mir euer Geld und eure Frauen bedenkenlos anvertrauen!“

„Nicht so voreilig, Nedim!“, bremst ihn Ahmet. „So was muss gut überlegt sein, mein Freund“, pflichtet ihm Hasan bei.

„Die Witwe eines so hinterhältigen Kerls wolltest du also retten, Osman?“, schimpfe ich mit mir. Andererseits, was kann die arme Frau dafür, dass ihr Ehemann so ein mieser Schuft ist?

Wütend klappe ich den Laptop zusammen. Mit Nedim, diesem egoistischen Idioten, rede ich kein Wort mehr! Sollen sie sich doch um ihre Witwen selber kümmern – ich habe ohnehin nicht vor, den Coronatod zu sterben!