Die Antideutschen – Spaltpilze und Lehrmeister

LINKE IDEOLOGIE Im Protest gegen die deutsche Vereinigung am 3. Oktober 1990 entstand eine Bewegung, deren Weiterentwicklung die Linke tief spaltete. Heute spielt sie kaum noch eine Rolle, hat aber Spuren hinterlassen

■ Die Antideutschen sind eine politische Strömung innerhalb der radikalen Linken. Ihre AnhängerInnen kommen vor allem aus der Antifa-Szene. Ihre Kritik wandte sich ursprünglich gegen den bedrohlich wirkenden Nationalismus, der sich im Zuge der Wende Anfang der Neunzigerjahre in Deutschland entwickelte.

■ Erst Ende der Neunzigerjahre kam eine bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel hinzu. Da die Antideutschen die USA als einzig verlässlichen Verbündeten Israels ansehen, wenden sie sich gegen jede Form des Antiamerikanismus. Zudem sehen sie im Islam Ansätze faschistischen Denkens.

■ Über die antideutsche Bewegung in der Linken gibt es viel Literatur. Einen guten Überblick bietet der Sammelband von Gerhard Hanloser (Herausgeber) aus dem Jahre 2004: „Sie waren die Anti-deutschesten der deutschen Linken. Zur Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik“, erschienen im Unrast-Verlag in Münster.

■ Die umfassendste Kritik ist im gleichen Verlag herausgekommen. Sie wurde vom linken Wertekritiker Robert Kurz verfasst: „Die antideutsche Ideologie. Vom Antifaschismus zum Krisenimperialismus: Kritik des neuesten linksdeutschen Sektenwesens“. FLEE

VON FELIX LEE

Vereinzelt gibt es sie noch: Leute, die auf Antikriegsdemonstrationen die Friedensbewegten als „organisierten faschistischen Mob“ diffamieren. Sie verteidigen die Kriegspolitik der USA und rümpfen die Nase über SchülerInnen, weil sie ein Palästinensertuch um den Hals tragen. Wer sich für den Sozialstaat starkmacht, wird von ihnen als „Nationalsozialist“ verunglimpft. Und ja, sie selbst bezeichnen sich gar als Linksradikale. Tatsächlich waren sie lange fest verankert im linken Millieu. Von Antideutschen ist die Rede.

Wenn in diesen Tagen der 20. Jahrestag des Mauerfalls gefeiert wird, jährt sich zugleich eine Debatte, die die linke Szene seitdem immer wieder zu zerreißen drohte. In den innerlinken Streitereien geht es bis heute um das Verhältnis zum Staat Israel, um Krieg, die USA, den Islam, Sozialstaat, Deutschland und vor allem um Antisemitismus.

20 Jahre ist es her, dass sich autonome Antifas, bei den Grünen geschasste Linke, Sprengsel des Kommunistischen Bundes, Redaktionsmitglieder der Zeitung Arbeiterkampf (heute: Analyse und Kritik) und der Zeitschrift Konkret zur „Radikalen Linken“ zusammenschlossen, weil sie im Zuge des Mauerfalls den deutschen Nationalismus wiedererstarken sahen. Und tatsächlich häuften sich um die Wendejahre nicht nur die öffentlichen Debatten um ein neues Großdeutschland. Auch die Übergriffe auf Nichtdeutsche nahmen zu und fanden Anfang August 1992 mit den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen ihren Höhepunkt, als es vor einem Flüchtlingswohnheim zu den schlimmsten ausländerfeindlichen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegsgeschichte kam. „Wir haben wirklich gedacht, dass uns das vierte Reich droht“, erinnert sich Jürgen Elsässer, einer der damaligen Hauptprotagonisten der Antideutschen. Er hat den Satz „Nie wieder Deutschland“ zur Leitparole gemacht. Und auch Bernhard Schmid, heute Journalist und linker Buchautor in Frankreich, erinnert sich, wie groß die Unsicherheit in der Linken damals darüber war, wohin der deutsche Einheitsprozess führen könnte.

„Wir haben wirklich gedacht, dass uns das vierte Reich droht“

JÜRGEN ELSÄSSER

Doch bereits mit Beginn des zweiten Golfkriegs 1991 kam es zu ersten Zerwürfnissen. Beim US-Angriff am 17. Januar 1991 auf den Irak sei sich die Linke noch einig in ihrer Antikriegshaltung gewesen, erinnert sich Schmid. Als zwei Tage später jedoch der Irak die ersten Scud-Raketen auf Israel schießen ließ, kamen Zweifel auf. Ein Kreis um damalige linke Vordenker wie Elsässer, Konkret-Herausgeber Hermann Gremliza und Wolfgang Pohrt meinte, einen Zusammenhang zwischen der deutschen Friedensbewegung, dem irakischen Angriff auf Israel und deutschen Waffenlieferungen an Saddam Hussein in den 80er-Jahren zu erkennen, und schlussfolgerte: Ein wiedererstarktes Deutschland würde indirekt die „neuen Hitlers im Ausland“ unterstützen, mit dem Ziel, Israel auszulöschen. Der Streit eskalierte.

Schmid selbst, der sich anfangs ebenfalls dem Kreis der Antideutschen zurechnete, wandte sich spätestens dann von dieser Strömung ab, als Antideutsche eine offizielle Kriegsgedenkfeier in Hamburg stören wollten und die Parole ausriefen: „Bomber Harris – do it again.“ Eine Anspielung auf das britische Flächenbombardement auf das Deutsche Reich. „Kohl-Deutschland mit Hitler-Deutschland gleichzusetzen ging mir dann doch zu weit“, so Schmid.

Nach Beginn der zweiten Intifada im Nahen Osten 2000 stellten die Antideutschen vor allem ihre uneingeschränkte Solidarität mit Israel in den Vordergrund und stempelten jegliche Kritik an der israelischen Regierung als „antisemitisch“ ab. Beim Afghanistankrieg stellten sich die Antideutschen offen hinter die Kriegspolitik des damaligen US-Präsidenten George Bush. Damit war der Bruch zur restlichen Linken endgültig vollzogen – was vor allem aber die Antifa-Szene über Jahre hinweg schwächte.

„Kohl-Deutschland mit Hitler-Deutschland gleichzusetzen ging mir doch zu weit“ BERNHARD SCHMID

Heute gruppiert sich der besonders harte Kern der Antideutschen weitgehend um die Zeitschrift Bahamas; ihre Anhängerschaft wird auf weniger als hundert beziffert. Und auch in innerlinken Debatten spielen sie kaum mehr eine Rolle. „Ihr selbstreferenzieller und hermetisch geschlossener Diskurs füllt nur noch Druckerzeugnisse, die niemand mehr lesen möchte und die selbst in linken Buchläden keine AbnehmerInnen mehr finden“, sagt etwa Politikaktivist Kyo Gisors, ebenfalls ein ehemaliger Antideutscher, der heute mit der Pink-Rabbit-Kampagne allzu „historisch situierten“ Nationalismus im deutschen Gedenkjahr auf die Schippe nimmt. Als „autoritäre und eurozentristische Politsekte mit rassistischer Schlagseite“ umschreibt er die Antideutschen. Für Bernhard Schmid sind sie zu „Neokonservativen transformiert“.

Und doch ist aus Gisors Sicht die Debatte nicht nur nach hinten losgegangen. Positiv hebt er hervor, dass die deutsche Linke beim Nahostkonflikt jetzt nicht mehr einseitig Partei für die palästinensischen Befreiungskämpfer ergreift. Zudem gebe es „mittlerweile ein Bewusstsein für die Fallstricke einer antikapitalistischen Kritik“. Auch mit Kritik an den USA werde sensibler umgegangen. Das alles bezeichnet er als Erfolge einer Auseinandersetzung, die jedoch „leider dogmatische, von rabiaten Antizionisten auch gewaltsame Züge angenommen hatte“. Gisor: „Ich bin froh, dass diese Auseinandersetzung vorbei ist – und dass umfassend herrschaftskritische Linke ihre Früchte geerntet haben.“