Nicht integriert genug

ABSCHIEBUNG Jetmir Kryeziu soll heute in ein Flugzeug nach Pristina steigen und in ein Land abgeschoben werden, das er nur aus Erzählungen seiner Eltern kennt. In Göttingen wurde für ihn demonstriert

Eben noch haben sie „Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord – Bleiberecht für alle, und das sofort“ gerufen. Aber als Axhil Kryeziu das Mikrofon nimmt, wird es vor dem Göttinger Rathaus still. Rund 70 Menschen sind am Montag gekommen, um dagegen zu protestieren, dass Jetmir, Axhils 21-jähriger Sohn, heute in den Kosovo abgeschoben werden soll. „Er hat dort keine Familie“, sagt Axhil, „nicht mal einen Onkel oder eine Oma.“

Als Jetmir am 31. Juli im Rathaus seine Duldung verlängern lassen wollte, wurde er verhaftet. Seitdem sitzt er in Hannover in Abschiebehaft. Christian Beerlau vom Arbeitskreis Asyl in Göttingen hat die Kundgebung mitorganisiert und kennt die Geschichte der Roma-Familie, die 1990 aus Jugoslawien nach Deutschland floh. „Jetmir und sein Bruder Ramadan sollten 2010 bereits abgeschoben werden“, sagt Beerlau. Sie flüchteten ins Kirchenasyl. Das Innenministerium in Hannover lehnte es ab, sich erneut mit dem Fall zu befassen, da sich die Geschwister der Abschiebung entzogen hätten (taz berichtete). Am Ende gab es einen Deal: Duldung gegen Ausbildung.

Jetmir ging damals zur Realschule, hatte eine Zusage für einen Ausbildungsplatz. Als sein Bruder wegzog, musste er sich um die kranken Eltern kümmern, schaffte den Schulabschluss nicht, brach dann die Lehre ab. Nicht integriert – urteilen die Behörden. „Nur so viel: Wir können uns nur auf die bisherigen Entscheidung beziehen und sagen, die Abschiebung ist rechtmäßig“, sagt Detlef Johannson von der Stadt Göttingen.

„Dieser Fall ist typisch für Niedersachsen“, sagt Karim Al Wasiti vom Flüchtlingsrat Niedersachen. Statt den Menschen hier eine Perspektive zu bieten, schicke man sie fort. Rechtlich zu verhindern sei die Ausweisung wohl nicht mehr, sagt Beerlau. Weil Jetmir angekündigt habe, sich umzubringen, solle es eine „begleitete Abschiebung“ geben. Ein Mediziner werde aufpassen, dass Jetmir sich auf dem Flug nichts antue, und ihn dann „irgendwem“ übergeben. RP / ILK