SCHWESTERLIEBE: Hartz-IV-Bitch
„Ey, kannzu nich einmal Schnauze halten, wenn ich rede?“ – „Ey, was soll denn die Scheiße? Halt doch selber dein Maul!“ – „Ey, weißtu, jetz mach mal hier nich einen so auf Macker!“ – „Ey, wenn du so weitermachst, erzähl ich Papa, dass du nachts zu Mama ins Bett kriechst, weil de Albträume hast!“ – „Ja? Machdoch! Ey, weißtu, dann erzähl ich Papa, dass du seine Unterhosen angezogen hast, anstatt sie zu waschen!“
In der U8 sitzen zwei junge Damen, fortgeschrittenes Teenageralter. Eng geflochtene Zöpfe, schwarze Haut. Offensichtlich handelt es sich um Schwestern, die sich auf eine sehr spezielle Art sehr mögen: sehr laut. Die eine der beiden greift zum Handy. „Ey, Schnauze, du Bitch! Ja? Was? Wir sind gleich da!“ – „Sag doch: Boddinstraße!“ „Ey, was? In fünf Minuten! Dann sind wir Hermannstraße.“ – „Mensch, sag doch: noch zwei Stationen!“ – „Ja, nee, was? Sag ich doch! Man, ruf mich in fünf Minuten wieder an. Was? Ja, fünf Minuten. Dann Hermannstraße.“ – „Man! Wir sind Boddinstraße! Sag doch: zwei Stationen!“ – „Ey, Bitch, kannstu nicht einfach mal Maul halten, wenn ich telefoniere?“
Der Ton ist giggelnd, glucksend, drastisch, unernst, einnehmend. Die Gesichter der Mitreisenden tragen alle den gleichen Blick: Sie stellen bemüht coole Ignoranz zur Schau, die von einem verräterischen leichten Lächeln torpediert wird. Keiner hört hier mehr weg. „Ey, halt Schnauze, du Hartz-IV-Schlampe!“ – „Wassenn? Lern du erst mal richtig Deutsch!“ – „Ich? Ich bin ja wenigstens in Deutschland geboren, nich so wie du nur in Afrika.“ – „Ja und? Guck dich doch selber an.“ – „Nee, ich bin aus Deutschland! Aber dich haben Mama und Papa bei den Krokodilen gefunden!“ – „Ach ja, und du? Du bist doch ein Unfall! Weil du es immer so eilig hass. Bei dir ist Papa doch das Kondom geplatzt!“ Die U8 erreicht den Bahnhof Hermannstraße. Endstation. Alles aussteigen. Schade eigentlich.
GEREON ASMUTH
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