VON ENTHUSIASTISCH ZELEBRIERTEN SALSA-SCHRITTEN, HELDEN, DIE MAN MIT NIEMANDEM TEILEN MUSS, UND DEM NISCHENDASEIN DER URBANEN LATIN-MUSIK: Dirigieren wie ein Fußballtrainer
VON DANIEL BAX
Zwei nackte Kinder planschen in einem Wasserbassin, das eigens für die Open-Air-Konzerte auf der Dachterrasse der Kongresshalle im Tiergarten aufgebaut wurde – es soll an das namensgebende Element des „Wasserfestivals“ erinnern. Mir kommt ein Foto in den Sinn, vom legendären Woodstock-Album, nackte Kinder spielen in einer Konzertpause an einem Schlagzeug herum. Ein bisschen hippiesk ist die Stimmung ja auch oft im Haus der Kulturen der Welt. Aber hey, was ist schon falsch an Liebe, Friede und Völkerverständigung?
Vor einer Woche hielt Eddie Palmieri, der 75-jährige Latin-Jazz-Wegbereiter und Salsa-Doyen aus New York, hier Hof. Am letzten Samstag gab der Londoner DJ Will Holland alias Quantic, der sich in seiner Wahlheimat Kolumbien den Wunschtraum eines eigenen Latin-Ensembles erfüllt hat, den Headliner. Beides war ein Erlebnis. Palmieri bot einen Streifzug durch die Spielarten der Salsa und ließ seinem Tres-Gitarristen, seinen Percussionisten und seiner brillanten Bläser-Sektion um den Posaunisten Jimmy Bosch viel Raum.
Potpourri der Musikstile
Während der agile Palmieri sein elfköpfiges Salsa-Orchester von der Seitenlinie aus dirigierte wie ein Fußballtrainer sein Star-Ensemble, fügte sich der Wahlkolumbianer Quantic eher bescheiden in sein eigenes Orchester ein. Mehr noch als sein Akkordeon waren aber die wechselnden Sänger und Sängerinnen seiner Frente Cumbiero sowie die quäkende Gaita-Flöte die Attraktion des Abends.
Palmieri machte sich einen Spaß daraus, mit seinem Klavier aus dem Mannschaftssound auszuscheren. Quantic und seine Frente Cumbiero dagegen jubelten ihrem Potpourri aus Cumbia, Salsa und regionalen Stilen Kolumbiens beiläufig Pop-Zitate wie eine Roots-Version von „Do You think I’m sexy“ unter. Aber wer weiß, vielleicht verhält es sich auch ganz anders und Rod Stewart hat die Melodie zu seinem Hit einst in einer Bar in Bogotá aufgeschnappt? Die Lichter unter dem Rundbogen der Kongresshalle flackerten stimmungsvoll und ekstatisch.
In solchen Momenten kann man sich im Haus der Kulturen, mit dem Kanzleramt und den Ausflugsbooten auf der Spree im Rücken wie auf der Terrasse der Welt fühlen. Fragt sich nur, warum eines der besten Festivals der Republik an einer der schönsten Locations der Stadt noch immer ein Geheimtipp ist? Zwar war die Dachterrasse, vom Best-Ager mit Panamahut und Frauen mit lackierten Fußnägeln in FlipFlops bis zu Berliner Latinos, die enthusiastisch ihre Salsa-Schritte zelebrierten, beide Male gut gefüllt. Doch eigentlich hätten die Konzerte über Wochen im Voraus ausverkauft sein müssen, und in New York wären sie das wohl auch gewesen.
Nach dem Auftritt von Quantic treffe ich Daniel Haaksmann. Wir wundern uns beide, warum urbane Latin-Musik in Deutschland noch immer so ein Nischendasein fristet. Als DJ hat Haaksmann einst den brasilianischen Baile Funk weltweit populär gemacht und mit „Rambazamba“ ein großartiges Global-Ghettotech-Mashup-Album herausgebracht. Aber im Ausland bekommt er dafür weit mehr Anerkennung als zu Hause, wo er sich immer noch oft dafür rechtfertigen muss, dass er sich ausgerechnet für obskure brasilianische Rhythmen begeistert.
Liegt es nur an ihrer größeren Kolonialvergangenheit, dass sich Briten und Franzosen, ja selbst Belgier musikalisch so viel weltgewandter zeigen? Echte Latin-Aficionados können dieser deutschen Ignoranz natürlich auch positive Seiten abgewinnen: Sie müssen sich ihre Helden hierzulande jedenfalls nicht mit der breiten Masse teilen.
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