Off-Kino
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

„La Notte – Die Nacht“ (O. m. engl. U.) 29. 7. im Arsenal

Die britische Sozialarbeiterin Yasmin (Archie Panjabi) findet einen Zettel in ihrem Schließfach an der Arbeitsstelle: „Yasmin liebt Osama“. Die junge Frau pakistanischer Herkunft reagiert verständnislos auf den dummen Scherz der Kolleginnen: Wer bitte ist Osama? Gemeint ist natürlich Usssama Bin Laden, und ohne dass Yasmin es bisher ahnte, hat der Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York weitreichende Auswirkungen auf ihr Leben im Norden des United Kingdom. Denn die Einheimischen sehen die muslimischen Immigranten plötzlich mit ganz anderen Augen. Der schottische Regisseur Kenny Glenaan zeigt in seinem zweiten Spielfilm „Yasmin“ in traditionell britischer Manier – schnörkellos, mit manchmal bitterem Humor – das Leben verschiedener Generationen der pakistanischen Community: Yasmins Vater ist ein konservativer Patriarch, der ständig mit der selbstbewussten Tochter streitet und von tragikomischem Zutrauen in die britische Staatsmacht beseelt ist, während Yasmins Bruder, der sich bislang als Drogendealer durchs Leben geschlagen hat, angesichts der neuen Situation unter die Radikalen fällt und die Familie schließlich als potenzieller Terrorist verlässt. Und Yasmin, die bislang geglaubt hatte, ein modernes westliches Leben jenseits der traditionellen muslimischen Frauenrolle führen zu können, beginnt angesichts alltäglicher Ressentiments und behördlicher Schikanen ganz bewusst, ihre Existenz als Muslima anzunehmen und zu akzeptieren.

Der britische Regisseur David Lean war der Erfinder des „intimen Spektakels“, des präzisen Charakterporträts vor spektakulärem geschichtlichem Hintergrund. In „Doktor Schiwago“ erzählt Lean nach dem Pasternak-Roman vom Arzt und Schriftsteller Juri Schiwago (Omar Sharif), der versucht, sich als ausgesprochener Individualist vor dem Hintergrund der russischen Revolution möglichst aus allem herauszuhalten. Er flüchtet sich in die Kunst und in seine Liebe zur schönen Lara (Julie Christie) und wird doch immer wieder von den alles umwälzenden Ereignissen eingeholt: ein Träumer, der durch ein von Lean und seinem Kameramann Frederick A. Young recht beeindruckend in Szene gesetztes Spektakel mit grandiosen Landschaftsaufnahmen treibt und sein Schicksal nie wirklich selbst bestimmen kann.

„Doktor Schiwago“ 1. 8.–2. 8. im Nickelodeon

Ganz ohne grandiose Landschaft durchleiden der Schriftsteller Giovanni (Marcello Mastroianni) und seine Frau Lidia (Jeanne Moreau) in Michelangelo Antonionis „La Notte“ eine existenzielle Sinnkrise: Im Laufe eines Tages und während einer nächtlichen Party wird nur allzu deutlich, dass ihre Beziehung auf dem Nullpunkt angekommen ist. Giovannis Unehrlichkeit steht dabei Lidias klarem Erkennen des Endes der Partnerschaft entgegen. Lidias lange Spaziergänge in einem Viertel, in dem das Ehepaar einst wohnte und in dem sich alles komplett verändert hat, dienen Antonioni als Sinnbild für die Leere in ihrem Leben: Gesichtslose Neubauten beherrschen mittlerweile das Bild. Ein perfekt inszenierter Film der Oberflächen und des Leerlaufs.

„Yasmin“ 31. 7.+2. 8. im Filmkunst 66

LARS PENNING