Schreien im Stadion

Der 1. FC Union Berlin möchte zum Bundesligastart im September vor vollen Rängen spielen. Die Reaktionen auf den recht gewagten Vorstoß des Fußball-Bundesligisten sind gemischt

Unions Utopia: ein volles Stadion mit fahnenschwenkenden Fans Foto: dpa

Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit hat Zweifel an der Machbarkeit des Plans von Fußball-Bundesligist Union Berlin zur Rückkehr der Fans in die Stadien geäußert. „Weil der Test nur eine Momentaufnahme ist, ist nicht ausgeschlossen, dass trotzdem Zuschauer nach 24 Stunden positiv werden und somit andere Zuschauer im Stadion anstecken können“, sagte Schmidt-Chanasit in einem Interview zum Vorstoß des Fußball-Bundesligisten. Union Berlin möchte mit massenhaften Coronatests für alle Zuschauer ein komplett gefülltes Stadion zum Saisonstart im September ermöglichen. Die Menge von rund 22.000 Tests zu bewältigen hält der Virologe allerdings für kein Problem.

Klaus-Dieter Zastrow vom Hygieneinstitut Berlin brachte jeweils zwei Tests für Fans vor dem Spiel als eine mögliche sicherere Variante ins Gespräch. „Das wäre grundsätzlich technisch möglich. Mit so getesteten Fans wäre Fußball mit vollem Stadion und Fangesängen auch zu verantworten“, sagte er. Allerdings hält Zastrow den organisatorischen Aufwand für zu groß. „Allein die Zahl der erforderlichen Tests bringt die Berliner Labors an ihre Grenzen, das ginge nur mit Sonderschichten“, urteilte der Professor.

Virologische Bedenken

Mit seinem in Deutschland bislang einmaligen Vorhaben sorgt Union für mächtig Wirbel. Der Club will „spätestens“ ab dem ersten Spieltag der kommenden Saison – also ab Mitte September – wieder eine „Vollauslastung“ seines Stadions erreichen. Dazu soll es umfassende Tests auf das Coronavirus für alle Stadionbesucher geben. Das Konzept will der Club gemeinsam mit dem Berliner Senat und dem zuständigen Gesundheitsamt des Stadtbezirks Treptow-Köpenick ausarbeiten. „Das Stadionerlebnis beim 1. FC Union Berlin ist geprägt von Nähe und intensiver Teilhabe der Menschen am Geschehen rund um das Spiel“, schreibt der Club. „Unser Stadionerlebnis“, sagt Vereinspräsident Dirk Zingler, „funktioniert nicht mit Abstand. Und wenn wir nicht singen und schreien dürfen, dann ist es nicht Union.“ Deshalb sollen nur Menschen Eintritt erhalten, die neben ­einem Ticket auch ein negatives Testergebnis vorweisen können, das nicht älter als 24 Stunden ist.

Der Berliner CDU-Gesundheitspolitiker Tim-Christopher Zeelen hat mit Kopfschütteln auf die Pläne des 1. FC Union reagiert, trotz der Pandemie im komplett gefüllten Stadion in die Saison starten zu wollen. „Ich finde es nahezu grotesk, jeden Zuschauer vorab testen zu lassen“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus der Deutschen Presse-Agentur. „Wer soll die Tests durchführen? Wer soll das am Einlass kontrollieren? Alles Fragen, die unbeantwortet bleiben“, so Zeelen.

Senioren first!

„Deshalb halte ich die Diskussion zu diesem Thema für vollkommen verfrüht.“ Für ihn sei im nächsten Schritt entscheidend, „dass unsere Kinder wieder zurück in die Kitas und Schulen können und unsere Senioren in den Pflegeeinrichtungen zu schützen“. Dafür würden die geschaffenen Testkapazitäten gebraucht. „Sie haben in jedem Fall Vorrang vor jeglicher Freizeitaktivität“, betonte Zeelen.

Anders sieht es anscheinend Berlins Sportsenator Andreas Geisel. „Wir verstehen Unions Ambitionen“, sagte der SPD-Politiker. „Wir werden uns zeitnah mit der Vereinsführung treffen, um über das Konzept zu sprechen“, verspricht Geisel. Der Berliner AfD-Sportexperte Frank Scheermesser erklärte, dass seine Partei die Initiative des 1. FC Union „ausdrücklich unterstützen“ werde. (dpa)