die woche in berlin
: die woche in berlin

Die BVG würde den U-Bahnhof Mohrenstraße am liebsten in Glinkastraße umbenennen – das sorgt für Unmut. Das gilt auch für ein Sommerinterview des RBB mit dem Brandenburger AfD-Chef Andreas Kalbitz. Und das Vorgehen der Polizei in der Rigaer Straße dürfte ein Nachspiel haben.

Trotz alledem danke BVG fürs Aufwecken!

Um die M-Straße ist erneut eine Debatte entbrannt

Ein kleines Lehrstück in Sachen „Eigenwerbung, die nach hinten losgeht“ hat dieser Tage die BVG geliefert. Da verkündet der landeseigene Betrieb aus dem Nichts heraus, dass der U-Bahnhof „Mohrenstraße“ umbenannt werde in „Glinkastraße“. Begründung: „Als weltoffenes Unternehmen“ lehne man „jegliche Form von Rassismus oder sonstiger Diskriminierung ab“. Das klingt erst mal gut und scheint zu zeigen, dass die Diskussionen der letzten Wochen und Monate (Black Lives Matter) mancherorts eine gewisse Wirkung erzielt haben.

Dennoch hagelte es umgehend Kritik – zurecht: Denn die BVG hat mit ihrer einsamen Entscheidung ausgeblendet, dass es um die M-Straße und den dazu gehörigen Bahnhof seit Jahren Diskussionen gibt. Und vor allem AkteurInnen, allen voran das Bündnis Decolonize Berlin, denen die Abschaffung der M-Straße ein echtes Anliegen ist, die Expertise haben – und sogar einen konkreten Vorschlag für einen Straßennamen. Wer an ihnen und der Debatte vorbei einen Namen von oben dekretieren will, zeigt, dass er von postkolonialer Aufarbeitung und Erinnerungskultur noch nichts verstanden hat. Denn beides kann ohne engagierte Zivilgesellschaft und deren Multiperspektivität nicht funktionieren.

Da überzeugte auch nicht das Argument der BVG, (Michail Iwanowitsch) Glinka sei der einzig mögliche Name, da sonst keine Straße in der Nähe des Bahnhofs in Frage käme. Denn warum hat man nicht gewartet, bis die M-Straße einen neuen Namen bekommt? Straße und Bahnhof waren doch immer zusammen gedacht worden.

Die Antwort ist offenkundig: Man wollte die Gunst der Stunde nutzen – für gute PR, die wenig kostet, weil man im Dezember wegen der neuen U5 ohnehin alle Pläne ändern muss.

Doch Glinka ist weder alternativlos – noch eine gute Idee. Nicht nur weil sich im Laufe der Woche herausstellte, dass der russische Komponist (1804–57) mutmaßlich Antisemit war. Mit einer „Glinkastraße“ würde auch der koloniale Kontext verloren gehen – also genau die Geschichtsklitterung passieren, die Gegner von Umbenennungen immer monieren. Der Namensvorschlag von Decolonize Berlin dagegen – „Antonio-Amo-Straße“ – bleibt beim Thema, wechselt aber die Perspektive, indem sie an den ersten Gelehrten und Sklavereigegner afrikanischer Herkunft an einer preußischen Universität erinnert.

Dass darüber jetzt alle reden, ist am Ende das Gute an der BVG-Aktion. Zumal sich der Landesbetrieb einsichtig zeigte und am Mittwoch erklärte, Glinka sei ja nur ein Vorschlag, Hauptsache die M-Straße komme bald weg.

Das wird aber noch ein Weilchen dauern, denn nun ist der für die Straße zuständige Bezirk Mitte wieder am Zug. Und dort hat man – trotz grünem Bürgermeister und rot-rot-grüner Mehrheit – das Anliegen bislang nicht gerade mit Verve betrieben. Aber vielleicht sind die Lokalpolitiker jetzt aufgewacht. Dafür dann doch: danke, BVG!

Susanne Memarnia

Nun ist der für die Straße zuständige Bezirk Mitte wieder am Zug. Und dort hat man das Anliegen bislang nicht gerade mit Verve betrieben. Aber vielleicht sind die Lokalpolitiker jetzt aufgewacht

Susanne Memarniaüber die Absichten, die M-Straße doch endlich umzubenennen

RBB versagt, Rechtsextreme jubeln

TV-Interview mit Brandenburgs AfD-Chef sorgt für Kritik

Exakt 39 Minuten und 16 Sekunden Sendezeit, die zu viel waren. Sendezeit für den Rechtsextremismus – der RBB hat sich ein Eigentor geschossen. Ein Fehler, denn das Interview hätte nicht gegeben werden dürfen. Und die Reaktion der Sendeanstalt, die aufgrund hagelnder Kritik nun folgte, macht leider alles schlimmer.

Es ist oft schwierig, als Journalist*in, richtig mit der AfD umzugehen. Nicht auf Provokationen hereinzufallen; nicht selbst Teil der Empörung zu werden, die geklickt und geklickt wird. Und dennoch über Relevantes der größten Opposi­tions­partei zu berichten.

Die Vorstellung, Journalist*innen könnten die AfD durch besonders gut geführte Interviews entlarven, führt meistens in die Irre. Gut vorbereitet, kann sie so ihre Weltansicht darlegen. Strategisch provozieren. Seit Jahren wird vor der Verschiebung öffentlicher Diskurse gewarnt. Vor der Normalisierung rechtsextremen Gedankenguts. Eine Mammutaufgabe für viele ausgezeichnete und hart arbeitende Journalist*innen und Redaktionen. Ganz und gar nicht einfach.

Einfach wäre es jedoch gewesen, den Fehler des RBB am vergangenen Sonntag zu verhindern. In der Interviewreihe „Politik am See“, plauderte der Sender knappe 40 Minuten mit Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz, der gemeinsam mit Höcke an der Spitze des offiziell aufgelösten, aber weiterhin aktiven rechtsextremen „Flügels“ der Partei steht. Während das Gespräch über Internetanbindung im Osten, Coronamasken und Arbeitsplätze dahinplätscherte, nutzte Kalbitz seine Chance und inszenierte sich als Opfer des Verfassungsschutzes.

Was der RBB geschehen ließ. Denn alle Spitzenpolitiker*innen aus den Parlamenten müssten dieses Interview bekommen, so die Argumentation. Den kurzen Schwenk zu seiner Verbindung zur Neonazi-Organisation Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) tat er mit „juristischen Fragen“ ab. Zurück zu Popcorn und harmlosem Politikgeschwafel.

„Wow, ein sogar vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist bezeichneter AfDler bekommt beim RBB so eine Bühne. Läuft bei euch!“, kommentierte eine Zuschauerin das Gesehen. Der Sender widersprach zunächst: „Der Verfassungsschutz spricht von Hinweisen. Bewiesen ist bisher nichts.“ Ein Fehler, den der RBB später korrigieren musste. Denn sogar der Verfassungsschutz sieht das anders.

Nun setzt die Reaktion des RBB-Chefs Christoph Singelnstein am Mittwochabend allem noch eins drauf: Die Expertise des Hauses zum Thema Rechtsextremismus müsse bei solchen Gesprächen besser zum Tragen kommen; die Zusammenarbeit der Redaktionen werde verbessert. Das Gespräch an sich verteidigt er – mit einem Blablabla aus „Ausgewogenheit“ der Berichterstattung und diese Partei müsse „zu Wort kommen“.

Das ist ein Fehler. Zwischen Kalbitz „zu Wort kommen“ lassen und einem Interview ohne kritische Rückfragen liegen Welten. Nicht die Redaktionen müssen besser zusammenarbeiten: Der RBB sollte Rechtsextremismus nicht verharmlosen und normalisieren. Dieses flauschige Inter­view hätte es nicht geben dürfen. Kein Spiel, kein Eigentor.

Sophie Schmalz

Kein Rechtsstaat in der Rigaer Straße 94

Durchsuchungen im Haus- projekt werden zur Räumung

Am Donnerstag rücken 200 Poli­zist*innen im linksradikalen Hausprojekt Rigaer Straße 94 an und vollstrecken Durchsuchungsbeschlüsse wegen Urkundenfälschung und aufgrund eines Angriffs mit einem Laserpointer. Gefühlsmäßig könnte man denken: Das ist großes Besteck für relativ geringe Vorwürfe, womöglich eine Machtdemonstration. Und: Könnte die Polizei nicht mit demselben Ermittlungseifer den namentlich bekannten Verdächtigen der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln auf die Füße steigen? Muss man aber auch nicht. Dann argumentiert man eben mit der Eigensicherung der Beamt*innen und damit, dass beide Fälle nichts miteinander zu tun haben.

Der Skandal an dem Einsatz beginnt an anderen Stellen. Zuerst beim Sprecher für Verfassungsschutz der SPD-Fraktion, Tom Schreiber. Der twitterte in Richtung der Bewohner*innen: „Eure letzten Tage im Objekt. Habt ihr schon eine neue Adresse?“ Wohlgemerkt, die Mieter*innen, auch wenn sie Schreiber politisch nicht passen, haben gültige Mietverträge. Der Innenpolitiker setzt sich nicht nur darüber hinweg, was allein schon jede Rücktrittsforderung rechtfertigt, sondern deutet möglicherweise sogar an, mehr zu wissen: Geht es etwa um die – illegale – Räumung einzelner Wohnungen oder gar des ganzen Hauses?

Damit wären wir beim zweiten und größeren Problem: Die Polizisten hatten bei ihrem Einsatz Vertreter einer neuen Hausverwaltung, den Eigentümeranwalt, Securitys und einen Bautrupp im Schlepptau.

Dabei hatte das Landgericht Berlin im Juni 2018 klar gemacht, dass die Briefkasten-Eigentümerfirma Lafone Investment ihre Eigentümerschaft selbst die Grundvoraussetzungen für einen Rechtsstreit nicht erfüllt. Nachweise, dass der „director“ der Lafone handlungsbefugt ist, hat es niemals gegeben; demzufolge erkannte das Gericht auch die Vollmacht für ihren Anwalt Markus Bernau nicht an.

Bis die Polizei das Gegenteil beweist, muss davon ausgegangen werden, dass sie sich über diese Gerichtsentscheidung hinweggesetzt hat und eigenmächtig die Vollmachten des Strohmann-Geschäftsführers akzeptiert hat.

Schlimmer ist, was daraus folgte: Im Schutze der Polizei räumten die angeblichen Eigentümervertreter zunächst Dachboden und den Keller des Vorderhauses, am Freitag sicherte die Polizei trotz eines Dementis sogar die Räumung einer Wohnung ab; Gegenstände wurden in einem Container entsorgt. In eine weitere Wohnung wurde von außen ein Loch in die Wand geschlagen. Von einem Räumungstitel oder einem Gerichtsvollzieher keine Spur, dabei sind diese zwingend erforderlich. Wie die taz erfuhr, gibt es für die Erdgeschosswohnung einen Mietvertrag. Ihre Räumung ist ein Rechtsbruch, ermöglicht durch die Polizei, deren Aufgabe es wäre, den Bauarbeitern in die Hände zu fallen.

2016 hatte Polizei die Räumung der Kneipe „Kadterschmiede“ ermöglicht – ohne vorliegenden Räumungstitel. Für den damals zuständigen Innensenator Frank Henkel (CDU) endeten die Aktionen im politischen Desaster, Gerichte urteilten später, dass die Räumung niemals hätte stattfinden dürfen. Jetzt wiederholt sich dieses Szenario sogar in verschärfter Form. Für die rot-rot-grüne Landesregierung, die sich bislang beschämend wegduckt, ist das ein Armutszeugnis, genauso wie für die Polizei. Im Kampf gegen die radikalen Linken ist anscheinend jedes Mittel recht. Erik Peter